Personaloffensive „Kita-Zukunft NRW“ – Fachkräfte verbinden Ost und West

I. Ausgangslage

In Nordrhein-Westfalen fehlen weiterhin tausende pädagogische Fachkräfte in der frühkindlichen Bildung. Viele Kindertageseinrichtungen sind an ihrer Kapazitätsgrenze angekommen, Gruppen können nicht eröffnet oder müssen reduziert werden – nicht aufgrund fehlender Nachfrage, sondern mangels qualifizierten Personals. Gleichzeitig bleiben jedes Jahr Ausbildungsplätze in der frühpädagogischen Bildung unbesetzt, obwohl der Fachkräftebedarf stetig steigt. Schätzungen zufolge könnten im Jahr 2030 in Nordrhein-Westfalen bis zu 20.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen. Dieses Missverhältnis gefährdet den Ausbau und Erhalt eines verlässlichen und qualitativ hochwertigen Kita-Systems in Nordrhein-Westfalen.

Hinzu kommt eine angespannte Versorgungslage im gesamten System der Kindertagesbetreuung. Der Bedarf an Plätzen wächst, insbesondere bei Kindern unter drei Jahren. In der Realität liegt die Betreuungsquote deutlich unter dem Bedarf der Familien. Laut der Kinderbetreuungsstudie KiBS des Deutschen Jugendinstituts lag der Betreuungsbedarf in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2023 bei 50,8 Prozent, die Betreuungsquote aber nur bei 31 Prozent. Der Platzausbau verläuft schleppend: Für das kommende Kitajahr sind kaum nennenswerte Steigerungen in der Zahl der Plätze vorgesehen. Zum aktuellen Kita-Jahr 2024/2025 wurden lediglich 466 zusätzliche U3-Plätze geschaffen, demgegenüber stehen mehr als 90.000 fehlen-den U3-Plätze in Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig wurden wichtige Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung – wie der Ausbau von Familienzentren – zuletzt gestoppt. Kommunen fühlen sich in ihrer Planungssicherheit eingeschränkt, viele Familien gehen leer aus und benachteiligte Kinder verlieren wichtige Förderchancen.

Trotz einer seit über zwei Jahren laufenden so genannten Fachkräfteoffensive kann die schwarz-grüne Landesregierung bislang keine konkreten Erfolge bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte für den Kita-Bereich vorweisen. Zahlen zur Effektivität dieser Bemühungen liegen nicht vor. Dies wirft Fragen nach der Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen auf und macht deutlich, dass neue Wege beschritten werden müssen.

In anderen Bundesländern, insbesondere in Teilen Ostdeutschlands, stellt sich die Lage hin-gegen vollkommen anders dar: Dort ist der Rückgang der Geburtenzahlen inzwischen so gravierend, dass erste Kitas aufgrund mangelnder Auslastung schließen müssen. Pädagogische Fachkräfte verlieren ihre Arbeitsplätze, obwohl sie über die dringend benötigte Qualifikation verfügen. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen unter anderem in den langfristigen demografischen Veränderungen, die in vielen ostdeutschen Regionen bereits früher und intensiver eingesetzt haben als in den westlichen. Die Folgen sind bereits sichtbar: Selbst in dynamisch wachsenden Städten wie Leipzig bleiben über 4.000 Kita-Plätze ungenutzt. In Halle (Sachsen-Anhalt) wurde ein Einstellungsstopp verhängt, wodurch elf Auszubildende und 30 Erzieherinnen und Erzieher mit befristeten Verträgen nicht weiterbeschäftigt werden können. Auch in Thüringen sind die Entwicklungen deutlich: Dort ist die Zahl der Geburten im Vergleich zu 2016 um 36 Prozent zurückgegangen und mehr als jeder zweite Träger gab an, in den nächsten fünf Jahren mindestens eine Einrichtung schließen zu müssen.

Ein strukturelles Ungleichgewicht hat sich herausgebildet: Während in Nordrhein-Westfalen der Bedarf an Betreuungsplätzen und Fachkräften weiterwächst, geht in ostdeutschen Flächenländern die Zahl der Kinder zurück – mit Folgen für die dortige Kita-Infrastruktur und das Arbeitskräfteangebot. In einigen Regionen wurden bereits Neubauten von Kitas zurückgestellt oder Einrichtungen geschlossen. Gleichzeitig stehen viele Familien in Nordrhein-Westfalen auf Wartelisten, weil Personal fehlt.

Diese Ausgangslage bietet jedoch auch eine Chance: Die bundesweit ungleich verteilte Fachkräftesituation eröffnet die Möglichkeit, mit gezielten Rekrutierungsmaßnahmen Personalengpässe – gerade in nordrhein-westfälischen Kommunen – abzufedern. Es ist davon auszugehen, dass die Bereitschaft zur Mobilität bei vielen pädagogischen Fachkräften grundsätzlich vorhanden ist – sie erfordert jedoch konkrete Unterstützung und attraktive Rahmenbedingungen, um aus potenzieller Mobilität reale Personalgewinne zu machen. Es braucht eine Verbindung von Ost und West in diesem Feld.

Zugleich zeigt sich, dass auch bestehende Ausbildungskapazitäten vielerorts nicht vollständig ausgeschöpft werden. Die Zahl der unbesetzten Plätze in praxisintegrierten Ausbildungen ist trotz hoher Nachfrage nach Personal beunruhigend hoch. Diese Diskrepanz verweist auf Hindernisse in der Erreichbarkeit und Ansprache geeigneter Bewerbergruppen – sowohl innerhalb Nordrhein-Westfalens als auch darüber hinaus. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmend schwieriger werdenden Bedingungen für angehende Erzieherinnen und Erzieher in Ostdeutschland – sei es durch weniger Ausbildungsplätze oder schlechtere Jobaussichten nach Abschluss – sollten junge Menschen, die den Berufswunsch zur Erzieherin oder zum Erzieher haben, gezielt angesprochen und über Ausbildungsmöglichkeiten in Nordrhein-Westfalen informiert werden. Nordrhein-Westfalen sollte diesen motivierten jungen Menschen ein
konkretes Angebot machen, um den eigenen Fachkräftebedarf zu decken und gleichzeitig Zukunftsaussichten zu eröffnen.

Um der Lage wirksam zu begegnen, bedarf es eines strategischen Ansatzes, der sowohl die innerdeutsche Fachkräftegewinnung als auch die vollständige Nutzung der Ausbildungskapazitäten im Blick hat. Dabei gilt es, das Potenzial eines solidarischen Miteinanders zwischen Ost und West gezielt zu nutzen: Nordrhein-Westfalen kann zum Brückenbauer werden – zwischen strukturellen Überkapazitäten in Teilen Ostdeutschlands und dringendem Fachkräftebedarf in den westlichen Kommunen. Diese Verbindung ist keine Einbahnstraße, sondern Aus-druck einer gesamtdeutschen Verantwortungsgemeinschaft, in der wir gemeinsame Herausforderungen mit vereinten Kräften anpacken. Eine Personaloffensive „Kita-Zukunft NRW – Fachkräfte verbinden Ost und West“ steht für einen lösungsorientierten, respektvollen und chancenreichen Umgang mit regionalen Ungleichgewichten – zum Wohle von Kindern, Familien und pädagogischen Fachkräften gleichermaßen.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  • Nordrhein-Westfalen benötigt dringend zusätzliche Fachkräfte in der frühkindlichen Bildung, um den bestehenden Versorgungsengpässen in Kitas wirksam entgegenzuwirken.
  • Qualifizierte pädagogische Fachkräfte in anderen Bundesländern verlieren zurzeit ihre Beschäftigung aufgrund rückläufiger Kinderzahlen. Gleichzeitig bleiben Ausbildungsplätze im Berufsfeld Erzieherin und Erzieher – auch in Nordrhein-Westfalen – regelmäßig unbesetzt.
  • Die gegenläufigen Entwicklungen in den Bundesländern bieten eine Chance für koordinierte Rekrutierungsmaßnahmen zur besseren Nutzung des pädagogischen Potenzials.
  • Eine landesweite Strategie zur Personalgewinnung, flankiert von Mobilitätszuschüssen, Wohnraumberatung und begleitenden Unterstützungsleistungen, kann dazu beitragen, das Fachkräfteangebot in Nordrhein-Westfalen kurzfristig zu verbessern.

    Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
     
  • kurzfristig eine landesweite Personaloffensive zur Gewinnung frühpädagogischer Fachkräfte aus anderen Bundesländern – insbesondere aus Regionen mit rückläufigem Betreuungsbedarf – aufzulegen.
  • bürokratische Hemmnisse zu identifizieren und gezielt abzubauen, um eine zügige und unbürokratische Aufnahme der Tätigkeit durch wechselwillige Fachkräfte aus anderen Bundesländern zu ermöglichen.
  • zu prüfen, welche Anreizinstrumente (z. B. Umzugszuschüsse, Wohnkostenzuschüsse, Unterstützung bei Jobvermittlung für mitziehende Partner) zielführend eingesetzt werden können und diese Maßnahmen umzusetzen.
  • gemeinsam mit den Kommunen und Trägern gezielt mit den Ausbildungseinrichtungen und Arbeitsagenturen in den betroffenen Regionen in den Austausch zu treten.
  • Maßnahmen zur besseren Besetzung bestehender Ausbildungskapazitäten zu ergreifen, z. B. durch Bewerbung von Ausbildungsmöglichkeiten auch in anderen Bundesländern oder durch gezielte Ansprache von Studienabbrecherinnen und Studienabbrechern.
  • gezielt junge Menschen in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands für die frühpädagogische Ausbildung in Nordrhein-Westfalen zu gewinnen, indem Informationen über freie Ausbildungsplätze, Fördermöglichkeiten und Zukunftsaussichten aktiv kommuniziert und entsprechende Unterstützungsangebote bereitgestellt werden.
  • die Landesinitiative mit einer Öffentlichkeitskampagne zu flankieren bzw. bestehende Kampagnen sinnvoll zu ergänzen, die Nordrhein-Westfalen als attraktiven Ausbildungs-und Arbeitsort für pädagogische Fachkräfte positioniert.
  • die genannten Maßnahmen im kommenden Landeshaushalt 2026 zu hinterlegen und deren Wirkung mit einem begleitenden Monitoring- und Evaluationssystem zu erfassen.