Pflege live – Würde offline: Likes dürfen nie wichtiger als die Menschenwürde sein

I. Ausgangslage

Im Mai 2025 wurden drei Pflegekräfte einer Dortmunder Intensivstation vom Dienst freigestellt, nachdem sie während ihrer Schicht auf TikTok live gestreamt hatten. In den Videos waren anscheinend Alarme von Beatmungsgeräten zu hören. Der Fall hat bundesweit eine Debatte über die Vereinbarkeit von Social-Media-Nutzung im Pflegekontext mit dem Schutz der Menschenwürde, der informationellen Selbstbestimmung und der Patientensicherheit ausgelöst.

In der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Susanne Schneider werden weitere Fälle von möglichen Datenschutzverstößen bei der Nutzung von Social Media sowohl aus dem Bereich der pflegerischen Einrichtungen als auch dem Krankenhausbereich aufgeführt. Die Landesregierung sieht zwar neue ethische und rechtliche Herausforderungen und spricht Aktivitäten zur Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden sowie zur Sensibilisierung in den entsprechenden Gremien an. Allerdings bestehen nach Aussage der Landesregierung keine konkreten Planungen, verbindliche Leitlinien zur Nutzung von Social Media im pflegerischen Kontext zu entwickeln oder bestehende gesetzliche Regelungen zu verschärfen.

Dabei ist unstrittig, dass digitale Inhalte aus dem pflegerischen Alltag tief in die Grundrechte von Patientinnen und Patienten sowie Bewohnerinnen und Bewohnern eingreifen können – im Speziellen in das Recht auf Datenschutz, auf körperliche und seelische Unversehrtheit und die Achtung der Privatsphäre. Besonders gefährdet sind vulnerable Gruppen wie Menschen mit Demenz, psychischen Erkrankungen oder in palliativer Versorgung. Auch Angehörige können durch solche Inhalte emotional belastet werden. Es bedarf daher höchster Sensibilität im Umgang mit digitalen Medien.

Angesichts dieser Entwicklungen erscheint die Einordnung als vereinzelte Vorfälle nicht ausreichend, um der tatsächlichen Tragweite gerecht zu werden. Die Dynamik digitaler Medien, ihre Reichweite und die Tatsache, dass Inhalte dauerhaft verfügbar bleiben, machen deutlich, dass auch unbeabsichtigte Veröffentlichungen langfristige Auswirkungen haben können. Dies gilt für die Betroffenen ebenso wie für Einrichtungen und das Berufsbild insgesamt. Dabei stehen insbesondere die Wahrung der Patientensicherheit, der Schutz personenbezogener Daten sowie die Achtung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte im Vordergrund.

Es braucht daher einen strukturierten und lösungsorientierten Ansatz, der alle relevanten Akteure, darunter Pflegekräfte, Einrichtungsträger, Berufsverbände, Datenschutzbeauftragte, Patientenschutzorganisationen und Fachleute für digitale Kommunikation, einbezieht. Ziel ist es, gemeinsam praxisnahe und ethisch fundierte Leitlinien zu entwickeln, die sowohl die Grundrechte der Betroffenen als auch die Anforderungen und Realitäten des pflegerischen Berufsalltags berücksichtigen. Ebenso sollte die bisherige Vermittlung von Datenschutz und Medienethik in der Pflegeausbildung kritisch reflektiert werden, um daraus fachlich fundierte Verbesserungen abzuleiten. Nicht zuletzt gilt es, auch die positiven Potenziale von Social Media, etwa zur Fachkräftegewinnung und zur Stärkung des Berufsimages, verantwortungsvoll zu nutzen.

II. Beschlussfassung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • eine wissenschaftliche und stichprobenartige Evaluation der Social-Media-Nutzung durch Pflegekräfte durchführen zu lassen, um Häufigkeit, Kontexte, rechtliche Bewertungen und Auswirkungen auf die Patientensicherheit und Grundrechte, insbesondere auf die Menschenwürde und die informationelle Selbstbestimmung, systematisch zu erfassen;
  • die Effektivität der bisherigen Vermittlung von Datenschutz, Medienethik und Persönlichkeitsrechten in der Pflegeausbildung sowie in Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu analysieren und zu bewerten, um auf dieser Grundlage gezielte fachliche und curriculare Verbesserungen zur Stärkung der Achtung der Menschenwürde und der Patientensicherheit zu ermöglichen;
  • verbindliche und praxisnahe Leitlinien zur Nutzung von Social Media im pflegerischen Kontext auf Landesebene gemeinsam mit Pflegekräften, Trägern, der Pflegekammer NRW, Berufsverbänden, Datenschutzbeauftragten, Patientenschutzorganisationen sowie Expertinnen und Experten für digitale Kommunikation zu entwickeln – mit dem Ziel, die Menschenwürde, Grundrechte und die Privatsphäre insbesondere vulnerabler Gruppen wirksam zu schützen;
  • einen interdisziplinären Fachdialog zu initiieren, der Perspektiven aus Pflegepraxis, Medienethik, Recht, Digitalisierung und Patientenschutz zusammenführt und Empfehlungen für gesetzliche Anpassungen oder berufsethische Standards erarbeitet, die die Wahrung der Grundrechte und der Menschenwürde im digitalen Pflegealltag sicherstellen sowie
  • gemeinsam mit Pflegekräften, Trägern und Berufsverbänden Konzepte zu entwickeln, wie Social Media gezielt und verantwortungsvoll zur Fachkräftegewinnung, Nachwuchsförderung und Imagepflege der Pflegeberufe genutzt werden kann, unter der Voraussetzung, dass der Schutz der Menschenwürde, der informationellen Selbstbestimmung und der Patientensicherheit jederzeit gewährleistet ist.