Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung in Nordrhein-Westfalen umsetzen!
I. Ausgangslage
Mit der klimaneutralen Transformation der Wirtschaft – insbesondere der Energieerzeugung und -versorgung – sowie der Modernisierung unserer Infrastruktur stehen wir vor erheblichen Herausforderungen. Egal ob es um die Sanierung oder den (Neu-)Bau von Schienen, Straßen und Kanälen, die Errichtung von Windrädern und Solarflächen für den Ausbau von Erneuerbaren Energien, moderne Industrieanlagen, Rundfunkmasten, Stromtrassen, die Verlegung von Glasfaseranschlüssen oder den Wohnungsbau und -umbau geht – unsere Planungs- und Genehmigungsverfahren sind zu langsam und bremsen den Aufbruch Richtung Zukunft aus. Die Erreichung der Klimaziele sowie die Schaffung zusätzlichen Wohnraums rücken in weite Ferne, der Gesellschaft entstehen erhebliche Kosten und Industrie und Wirtschaft haben am Standort Deutschland und Nordrhein-Westfalen erhebliche Nachteile im internationalen Wettbewerb.
Modernisierungsbedarf und Genehmigungszeiten bei der Infrastruktur
Zahlreiche Eisenbahn- und Autobahnbrücken müssen in Nordrhein-Westfalen durch neue Bauten ersetzt werden, da sie entweder überaltert und aufgrund nicht erwarteter Belastungen marode sind. Beispielsweise ist die Rheinbrücke der A1 bei Leverkusen aufgrund von Schäden seit 2012 für den Schwerlastverkehr gesperrt. Als Teil des Kölner Autobahnrings gehört sie mit 120.000 Fahrten pro Tag zu den am stärksten genutzten Straßenabschnitten in Deutschland. Der erste Teil des Ersatzneubaus soll 2023, die zweite Brückenhälfte allerdings erst im Jahr 2027 fertiggestellt werden – 15 Jahre nach Sperrung der alten Brücke.
Der Sanierungsbedarf bei Wasserstraßen ist ebenfalls immens. Bis zum Jahr 2035 müssen 70 Prozent der Schleusen in Deutschland ersetzt oder saniert werden. In den vergangenen 20 Jahren sind lediglich sieben Schleusen erneuert worden.
Die marode Infrastruktur bei Straßen oder Kanälen verursacht höhere Transportkosten sowie Staus und Umleitungsverkehre, die zu zusätzlichen Umweltbelastungen führen. Die langsamen Planungs- und Genehmigungsverfahren verstetigen Verkehrs- und Umweltbelastungen statt sie aufzulösen. Der Bau neuer Radwege dauert von der Voruntersuchung bis zur Realisierung ungefähr sieben Jahre. Schienenprojekte mit einer Länge von über 30 km haben eine durchschnittliche Umsetzungszeit von etwa 23 Jahren, von der Vorplanung bis zur Realisierung. Schnelle Schienenprojekte kommen auf eine Realisierungsdauer von mehr als 13 Jahren. Die Mobilitätswende hin zu mehr Rad- und Schienenverkehr wird damit erheblich ausgebremst.
Genehmigungsbedarfe und -zeiten bei Industrieanlagen und Kraftwerken
In Deutschland existieren an die 50.000 genehmigungspflichtige Industrieanlagen, von denen circa 9.000 Anlagen unter die auflagenreiche europäische Industrie-Emissionsrichtlinie (IED) fallen, darunter sehr viele Anlagen der chemischen Industrie. Bereits Veränderungen an genehmigungspflichtigen Anlagen, wie etwa neue Emissionsgrenzwerte, bedürfen einer behördlichen Genehmigung, weshalb entsprechende Verfahren sehr häufig anfallen. Unter genehmigungspflichtige Anlagen fallen sowohl Elektrolyseure als auch Methanisierungsanlagen für die Herstellung strombasierter Energieträger, die für die Dekarbonisierung der Industrie dringend notwendig sind. Jedes Jahr werden circa 1.500 Verfahren zu Industrieanlagen auf Basis des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) durchgeführt. Die Verfahren umfassen in der Regel ein zweistufiges Bauleitverfahren mit doppelter Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung. Trotz Erleichterungen im BImSchG im Rahmen der Energiekrise, um den Brennstoffwechsel weg von Erdgas zu vereinfachen, dauern Genehmigungsverfahren gemäß BImSchG laut Unternehmensumfragen zwischen einem halben und drei Jahre nach Einreichung der Unterlagen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Gasmangellage sowie auch im Hinblick auf die notwendige klimaneutrale Umstellung von Industrieprozessen, ist dies für viele Industrieunternehmen existenzgefährdend.
Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sind langwierige und komplexe Planungs- und Genehmigungsverfahren ebenfalls ein erheblicher Hemmschuh. Die durchschnittliche Verfahrensdauer für Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen, vom Zeitraum der Antragsstellung bis zur Behördenentscheidung, liegt bei fast 21 Monaten. Damit verzögert sich der dringend benötigte Zubau von klimafreundlichen Produktionskapazitäten bei der Stromversorgung in einer aktuell angespannten Versorgungslage.
Genehmigungsbedarfe und -zeiten bei Neubau und Sanierungen
Über die durchschnittliche Dauer von Genehmigungsverfahren für Wohnungsneubauten sowie Nachverdichtungen und (energetischen) Sanierungen kann nur spekuliert werden, da es keine belastbaren Zahlen zu den durchschnittlichen Verfahrensdauern gibt. Zwar sieht § 91 der NRW-Landesbauordnung den Erlass einer Rechtsverordnung vor, nach welcher die kommunalen Bauaufsichtsbehörden dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung als oberste Bauaufsichtsbehörde über die durchschnittliche Länge von Baugenehmigungsverfahren Bericht zu erstatten haben. Die zuständige Ministerin Scharrenbach lehnt den Erlass einer solche Rechtsverordnung allerdings ab.
Hemmnisse bei Planungs- und Genehmigungsverfahren
Die Gründe für langsame und komplexe Planungs- und Genehmigungsverfahren sind vielfältig. Die Verfahrensschritte von Planungsverfahren sind mehrstufig und nehmen viel Zeit in Anspruch. Wiederkehrende Prüfungsschritte und Öffentlichkeitsbeteiligungen sind vorgesehen. Im Genehmigungsrecht bremsen komplexe Vorgaben des Arten-, Natur- und Umweltschutzes die Verfahren. Erschwerend kommt hinzu, dass das Umweltrecht geprägt ist von unbestimmten Rechtsbegriffen, die ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit verursachen, den Prüfaufwand bei Behörden erhöhen, Verfahren verzögern und häufig langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen zur Folge haben. Mit der Komplexität der Verfahren wächst bei den Behörden und Gerichten der Personal- und Weiterbildungsaufwand. Hier fehlt es häufig an einer ausreichenden Personalausstattung. Nicht zuletzt ist zusätzlich die unzureichende Digitalisierung und Standardisierung und der Verfahren ein weitreichendes Verfahrenshemmnis.
Ansätze für die Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren
Stellschrauben für die Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sind zur Genüge bekannt. Für eine aktive Standortpolitik und zur Beschäftigungssicherung sollte die Planung von Infrastrukturvorhaben stärker priorisiert werden. Um die Bedeutung einer leistungsfähigen Infrastruktur zu unterstreichen, sollte diese als Staatsziel verankert werden. Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren sollten miteinander verbunden werden, um mehrfache oder doppelte Beteiligungsschleifen und Prüfungen durch unnötig viele Planungsebenen bestmöglich zu vermeiden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Verfahren sollten auf ein notwendiges Maß reduziert, vereinfacht, vollständig digitalisiert und so früh wie möglich bei Planungsprozessen angesetzt werden. Für besonders bedeutsame Infrastrukturvorhaben sollte die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe festgelegt werden, um bei Klagen lange Gerichtsverfahren durch mehrere Instanzen zu vermeiden. Der Personalschlüssel an den Verwaltungsgerichten ist entsprechend zu stärken. Bei der Umsetzung von Planungs- und Genehmigungsverfahren braucht es eine vollständige Digitalisierung, Standardisierung und Automatisierung, um die Prozesse nachhaltig zu vereinfachen und zu beschleunigen. Bei Arten, Natur- und Umweltschutz braucht es bundeseinheitliche Standards, die für klare, praktikable und rechtsverbindliche Maßstäbe sorgen.
Erst diese Voraussetzungen schaffen die Möglichkeit für eine Genehmigungsrevolution auf der Ebene der Verwaltungsbehörden. Hier braucht es einen echten Paradigmenwechsel bei den Genehmigungen – weg von der Sehnsucht der Einzelfallgerechtigkeit hin zu Entscheidungen mit Tempo aber gebotener Weitsicht. Wo drängender Umbau-, Ausbau- und Zubaubedarf besteht, braucht es mehr Genehmigungsfiktionen mit kurzen Fristen sowie mehr Anzeige- statt Genehmigungspflichten. Instrumente wie der vorzeitige Baubeginn oder die Möglichkeit von Teilgenehmigungen müssen stärker genutzt werden. Antragsunterlagen sollten bereits in Teilen geprüft werden können, so dass parallel gebaut und genehmigt wird. Behörden sollten zudem optional auf Kapazitäten von privaten Planungsbüros zurückgreifen können. Verlässliche Planungsgrundlagen sind für die schnelle Zulassung von Windkraft- und Industrieanlagen sowie Gewerbeansiedlungen und Infrastrukturvorhaben, wie Verkehrswege und den Glasfaser- und Mobilfunkausbau, von essentieller Bedeutung. Für diese Bedarfe braucht es ein effizientes Flächenmonitoring und Flächenmanagement. Gewerbe- und Industrieflächenbedarfe sollten bereits auf Ebene der Regionalplanung flexibel mit einer vorsorgenden Flächenplanung planerisch gesichert werden.
Maßnahmen des Bundes
Auf Bundesebene sind unterdessen eine ganze Reihe von Maßnahmen für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungen umgesetzt worden, oder sind in Umsetzung. Dazu zählen beispielsweise bundeseinheitliche Standards im Artenschutz und erleichterte Flächennutzung beim Naturschutz. Im LNG-Beschleunigungsgesetz wurde auf die Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet, Beteiligungsfristen verkürzt und ein vorzeitiger Baubeginn ermöglicht. Gesetzliche Grundlagen für den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie an See und an Land, wurden geschaffen. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich hat der Bund ein wegweisendes Maßnahmenpaket vorgelegt, das Gerichtsverfahren zu großen Infrastrukturprojekten Vorrang einräumt und Verfahren moderner und effizienter ausgestaltet. Ein Genehmigungsbeschleunigungsgesetz für Straßen-, Wasserstraßen- und Schienenprojekte ist zudem gerade auf Bundesebene in Planung und Abstimmung. Nordrhein-Westfalen muss das Tempo des Bundes bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren jetzt mitgehen.
Handlungsbedarf in Nordrhein-Westfalen
Die Maßnahmen des Bundes wurden bisher in Nordrhein-Westfalen in großen Teilen noch nicht vollständig in die Umsetzung gebracht. Die Anpassung des Artenschutz-Leitfadens an die aktuelle Rechtslage ist bisher noch nicht vorgenommen worden.
Für die Beschleunigung von Genehmigungsprozessen für Windenergieanlagen sollen zukünftig die Bezirksregierungen anstatt der Kommunen zuständig sein. Hierfür ist bisher keine neue Regelung umgesetzt worden. Änderungen für eine schnellere und bessere Landesplanung und Landesentwicklung sind erst für das Jahr 2024 angekündigt. Die Landesregierung hat erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Planungs- und Genehmigungsverfahren auf behördlicher Ebene. Bisher wurde hiervon nicht ausreichend Gebrauch gemacht.
Es braucht jetzt einen echten Aufbruch bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren wirken sich positiv auf die Wirtschaftsentwicklung, Investitionen und auf Unternehmensgründungen aus. Ergänzend sind die Verfügbarkeit Erneuerbarer Energien und eine moderne und intakte Infrastruktur wesentliche Bedingungen dafür, dass die industrielle Produktion, die Mobilität und der Energieverbrauch klimafreundlicher werden können. Nur mit der Beseitigung von Planungs- und genehmigungsrechtlichen Hürden lassen sich ökonomische und ökologische Folgekosten minimieren.
II. Beschlussteil
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- die aktuellen Gesetzespläne der Bundesregierung für die Beschleunigung und Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Bundesrat zu unterstützen.
- alle Maßnahmen des Bundes für die Beschleunigung und Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren unverzüglich und eins zu eins auf Landesebene umzusetzen.
- sich dafür einzusetzen, dass alle Planungs- und Genehmigungsverfahren schnellstmöglich und bestmöglich digitalisiert, standardisiert und automatisiert werden.
- einen Aktionsplan für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungen zu erarbeiten, der die Maßnahmen des Bundes mit landesspezifischen Maßnahmen ergänzt.
- Planungs- und Genehmigungsbehörden des Landes mit ausreichend personellen und organisatorischen Kapazitäten für den Hochlauf von Planungs- und Genehmigungsverfahren auszustatten.
- Stabstellen für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung auf Ebene der Regierungspräsidien einzurichten, die laufende Verfahren begleiten und optimieren und zusätzlich die Behörden auf kommunaler Ebene unterstützen.
- einen Pool von externen Projektmanagern zu schaffen, die die verantwortlichen Planungs- und Genehmigungsbehörden nach Bedarf in Abstimmung mit den Projektträgern mit ihrer Expertise unterstützen.
- jährlich über die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren in Nordrhein-Westfalen sowie durchgeführte und geplante Beschleunigungsmaßnahmen zu berichten