Schwarz-grünes Hebesatzsplitting ist vor Gericht krachend gescheitert – Nordrhein-Westfalen braucht ein neues Grundsteuermodell: Einfach, niedrig und gerecht
I. Ausgangslage
Am 4. Dezember 2025 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen ein bedeutendes Urteil zum Hebesatzsplitting gesprochen: Nordrhein-westfälische Kommunen dürfen sogenannte Nichtwohngrundstücke nicht mit höheren Grundsteuer-Hebesätzen vor Ort belasten als Wohngrundstücke. Für eine steuerliche Ungleichbehandlung gebe es keinen sachlichen Grund, so das Verwaltungsgericht. Zwar könne das Ziel einer Vermeidung eines übermäßigen Anstiegs der Wohnkosten gerechtfertigt sein, allerdings dürfe dies nicht aus rein fiskalischen Gründen zur Benachteiligung der Eigentümer von Nichtwohngrundstücken führen. Damit haben die Kläger, vier Gewerbetreibende aus Essen, Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen in dieser erstinstanzlichen Entscheidung Recht bekommen. Das Gericht hob die Steuerbescheide aller vier Betriebe auf und erklärte die Satzungen der Städte jeweils für nichtig, die unterschiedliche Hebesätze für Gewerbe- und Wohnimmobilien vorsehen. Das Gericht hat sowohl die Möglichkeit einer Berufung als auch die sogenannte Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht eröffnet.
Das sogenannte Hebesatzsplitting von CDU und Grünen ist damit krachend gescheitert. Die Möglichkeit differenzierender Hebesätze für Wohngrundstücke und Nichtwohngrundstücke haben CDU und Grüne im Sommer 2024 gegen den ausdrücklichen Willen der Kommunalen Spitzenverbände geschaffen. Das offiziell artikulierte Ziel ist der vermeintliche Ausgleich von Belastungsverschiebungen gewesen, die sich durch unveränderte Anwendung des neuen Berechnungsmodells bei der Grundsteuer ergeben hatten. Denn mit dem Bundesmodell bzw. „Scholz-Modell“ werden etliche Wohngrundstücke im Vergleich zum Status quo vor der Grundsteuerreform überproportional stark belastet.
II. Handlungsnotwendigkeiten
Bereits zu Beginn der Debatte rund um das Hebesatzsplitting stand der Verdacht im Raum, dass das Modell der Landesregierung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält – unabhängig davon, dass es auch gar nicht dazu geeignet ist, Belastungsverschiebungen annähernd adäquat auszugleichen. Die nordrhein-westfälischen Kommunen kritisierten den Sonderwegs des Splitting-Modells ebenso vehement wie Vertreter der Wirtschaft. Und auch Eigentümervertreter und Mieterschützer äußerten starke Zweifel daran, dass differenzierte Hebesätze Belastungsverschiebungen bei der Grundsteuer tatsächlich sinnvoll ausgleichen können. Auch die FDP-Landtagsfraktion hat aus den zuvor dargestellten Gründen stets vor den rechtlichen Risiken des Habesatzsplittings gewarnt und der Koalitionsmehrheit davon explizit abgeraten. Nichtsdestotrotz wurde der damalige Gesetzentwurf im Juli 2024 mit schwarz-grüner Mehrheit vom Landtag Nordrhein-Westfalen beschlossen.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts reiht sich ein in eine lange Reihe von Fehlschlägen und Versäumnissen der schwarz-grünen Landesregierung im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform. Einen Wechsel hin zu einem einfacheren, unbürokratischen und gerechteren flächenbasierten Modell – wie von der FDP-Landtagsfraktion bereits im Juni 2022 mit einem eigenen Gesetzentwurf vorgeschlagen und unterstützt von der Immobilienwirtschaft, Eigentümervertretern, Wirtschaftsverbänden, dem Bund der Steuerzahler sowie dem Deutschen Steuerberaterverband – lehnten CDU und Grüne kategorisch ab. Es folgte eine Einspruchs- und Klagewelle, welche die Finanzämter an ihre Grenzen brachte. Ende September 2025 lagen rund 1,6 Millionen Einsprüche von Steuerpflichtigen in Nordrhein-Westfalen vor. Insgesamt wurden 526 Klagen erhoben, davon waren Ende Oktober 2025 noch 334 Klagen anhängig.
Nachdem Anfang 2024 nicht nur sachlogisch, sondern auch empirisch klar wurde, dass die Anwendung des „Scholz-Modells“ zu massiven Belastungsverschiebungen führte, kam auch eine von der FDP-Landtagsfraktion geforderte Anpassung der Steuermesszahlen als Sofortmaßnahme für Schwarz-Grün nicht in Frage, obwohl eine breite Mehrheit der betroffenen Interessensverbände eben diesen Smart Repair unterstützte. CDU und Grüne entschieden sich stattdessen für die Einführung ihres Hebesatzsplittings.
Im September 2024 veröffentlichte der Städtetag Nordrhein-Westfalen ein Gutachten der Professoren Lampert und Hummel zum Hebesatzsplitting der Landesregierung. Bereits zum damaligen Zeitpunkt wurden fehlende Rechtssicherheit und hohe Risiken für Kommunen und Steuerpflichtige attestiert. Das Gutachten prognostizierte eine erneute Klagewelle und warnte vor Steuerausfallrisiken für Städte und Gemeinden. Genau diese Warnungen haben sich nun mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen erwartungsgemäß bestätigt. Den Kommunen – insbesondere denjenigen, die sich für das von CDU und Grünen als rechtssicher propagierte Hebesatzsplitting entschieden haben – drohen jetzt massive finanzielle Unsicherheiten.
Dies konkretisierte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds Nordrhein-Westfalen in einem Pressestatement vom 4. Dezember 2025 folgendermaßen: „Dieses Urteil kommt für die Städte und Gemeinden zu einem sehr problematischen Zeitpunkt, da alle in der abschließenden Phase ihrer Haushaltsberatungen stecken.“ Und weiter sagt er: „Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass das Land die damit einhergehenden Risiken an die Kommunen abschiebt. Eine Alternative hätte in einer Korrektur der Messzahlen durch Landesgesetz bestanden, um Lastenverschiebungen entgegenzuwirken. Der Finanzminister sollte über diese Option erneut ernsthaft nachdenken.“
Die Begründung des seinerzeitigen Gesetzentwurfs von CDU und Grünen (LT-DS 18/9242) enthält gleich mehrere sachfremde Aspekte. So schreiben es auch die Kommunalen Spitzenverbände in ihrer Stellungnahme 18/1557. Schwarz-Grün argumentiert mit der „Gleichmäßigkeit der Besteuerung“ und „Aufkommensneutralität der Grundsteuerreform“ für die Einführung eines differenzierten Hebesatzrechts, obwohl die Hebesatzregelung in dieser Hinsicht keinerlei Vorteile bietet. Sie ebnet vielmehr den Weg für einen Flickenteppich an Ungleichbehandlungen.
Die Städte und Gemeinden unterliegen aber mit der Einführung von gesplitteten Hebesätzen hohen rechtlichen und fiskalischen Risiken. Nutzt eine Kommune diese Option, muss sie die Gründe für die von ihr gewählte Differenzierung darlegen, um verfassungsrechtlich abzusichern, dass die Grenzen des Gleichbehandlungsgebots (Artikel 3 GG) trotz der differenziert getroffenen Belastungsentscheidung oder der Lenkungsmaßnahmen nicht überschritten werden.“ (LT-DS 18/9242, S. 3). Zukünftig soll es also den Kommunen obliegen, die Grenzen des Verfassungsrechts in diesem Zusammenhang auszuloten. Eine erneute Einspruchs- und Klagewelle ist vorprogrammiert, die im Gegenteil zu den Einsprüchen gegen die Grundlagenbescheide – welche durch Zweifel an der Verfassungskonformität des Berechnungsmodells begründet werden – nicht im Rahmen von Musterverfahren gelöst werden können.
Die für die Kommunen äußerst wichtigen Einnahmen aus der Grundsteuer unterliegen deshalb einer großen jahrelang andauernden Unsicherheit, die ihnen nicht zuzumuten ist. Auch die Steuerpflichtigen haben dasselbe Anrecht auf mehr Planungssicherheit bei ihrer Besteuerung.
Die schwarz-grüne Grundsteuerreform ist endgültig gescheitert und gehört zurück in die Montagehalle. Das Scholz-Modell hat verständlicherweise keine Akzeptanz bei den Bürgern. Die Landespolitik muss daher endlich ihre Tatenlosigkeit beenden und bessere Alternativen für eine zukunftsfähige Grundsteuer erarbeiten. Der anhaltende und starke Widerstand in der Mitte unserer Gesellschaft gegen die neue Grundsteuerreform erreicht immer neue und historische Negativrekorde. Nordrhein-Westfalen braucht ein neues Grundsteuermodell.
III. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- insbesondere unter Berücksichtigung der Gerichtsurteile von der Länderöffnungsklausel im Grundsteuerrecht Gebrauch zu machen und dem Landtag einen Gesetzentwurf vorzulegen für einen Wechsel hin zu einem einfachen, unbürokratischen, gerechten und vor allem rechtssicheren Grundsteuermodell,
- bis zu dessen Inkrafttreten als zeitlich befristeten Smart Repair einen sachgerechten Vorschlag für Korrekturfaktoren bei den Steuermesszahlen vorzulegen, der die nicht verhältnismäßigen Lastenverschiebungen zu vermeiden hilft,
- Steuerpflichtige und Kommunen über die rechtlichen Folgewirkungen des Urteils zeitnah aufzuklären und über die geplanten Aktivitäten der Landesregierung zu informieren.