Sondervermögen Infrastruktur – Der extreme Sanierungsbedarf der Straßeninfrastruktur in Nordrhein-Westfalen muss berücksichtigt werden
I. Ausgangslage
Der Verkehrsträger Straße ist eine tragende Säule des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen. Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Wachstum – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Güterverkehrsprognose des Bundesministeriums für Verkehr mit einem Zuwachs des Güterverkehrs auf den Straßen um 54 Prozent rechnet, deutlich mehr als bei Schiene oder Wasserstraße. Diese Güter müssen adäquat auf den Straßen transportiert werden können, andernfalls ist das mit ihnen verbundene Wachstum nicht zu realisieren.
Der massive Sanierungsstau der deutschen und besonders der nordrhein-westfälischen Straßeninfrastruktur entwickelt sich jedoch zusehends zu einem eklatanten Nachteil für den Wirtschaftsstandort und seine Bevölkerung gleichermaßen. In der ADAC-Staubilanz 2024 ist Nord-rhein-Westfalen erneut mit großem Abstand das Bundesland mit den meisten Stauereignissen, den längsten Staudauern und den höchsten Staulängen. Die Autofahrer verloren 2024 rund 155.000 Stunden in den 172.000 Staus auf den Autobahnen des Landes. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2022 zeigt zudem: 79 Prozent der befragten deutschen Unternehmen beklagten eine Beeinträchtigung ihrer Geschäftsabläufe durch Infrastrukturmängel, darunter sprechen 27 Prozent der befragten Unternehmen sogar von deutlichen Beeinträchtigungen.
Besonders die Brücken sind oft Nadelöhre für den Verkehr. Unerwartete Ausfälle oder lange Sperrungen können hier besonders gravierende Folgen haben, wie das Beispiel der Talbrücke Rahmede auf der A45 bei Lüdenscheid verdeutlicht. Ihre Sperrung führt nicht nur lokal, sondern überregional zu einem Verkehrschaos, da der Verkehr weitläufig umgeleitet werden muss. So entsteht durch die Sperrung ein Schaden von 1,8 Milliarden Euro.4 Tatsächlich ist der Sanierungsbedarf bei den Brücken in Nordrhein-Westfalen besonders hoch. Eine Untersuchung der IHK NRW zum Brückenzustand in Nordrhein-Westfalen zeigt auf, dass 18,5 Prozent aller Bundes- und Landesbrücken im Bundesland als sanierungsbedürftig gelten, also einen Traglastindex von IV oder V besitzen und damit drei oder mehr Brückeneinstufungsklassen unterhalb des Ziellastniveaus liegen. Bei den Bundesautobahnbrücken in Nordrhein-Westfalen ist der Sanierungsbedarf noch einmal deutlich höher – auch im Vergleich mit den anderen Flächenbundesländern. Ganze 30,1 Prozent der nordrhein-westfälischen Bundesautobahnbrücken besitzen die Traglastindizes IV oder V, sind also sanierungsbedürftig. Andere Bundesländer stehen im Vergleich weit besser da. So lassen sich in unseren Nachbarländer Hessen (18,1 Prozent), Niedersachsen (15,6 Prozent) und Rheinland-Pfalz (14,1 Prozent) nur
etwa knapp zwei Drittel bis halb so viele Problemfälle verordnen. In Bayern gehören sogar nur 9,8 Prozent der Bundesautobahnbrücken zu den Traglastindizes IV und V. Somit wird ersichtlich, dass Nordrhein-Westfalen im Bundesvergleich einen überdurchschnittlich hohen Sanierungsbedarf bei den Bundesautobahnbrücken besitzt.
II. Handlungsbedarf
Die neue schwarz-rote Bundesregierung hat mit Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen am 18. März 2025 die Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von 500 Milliarden Euro über 12 Jahre im Bundestag beschlossen. Am 21. März 2025 erteilte auch der Bundesrat diesem Vorhaben seine Zustimmung. Die zusätzlichen (Schulden-)Mittel sollen unter anderem für Infrastrukturinvestitionen sowie zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 genutzt werden. Dieses neue Schuldenpaket stellt eine Zäsur im finanzpolitischen Kurs der Bundesrepublik dar, die die Generationengerechtigkeit ernsthaft gefährdet. Oberste Priorität muss nun sein, auf eine sinnvolle und bedarfsgerechte Verwendung der Mittel hinzuwirken. Das Ziel jeder Verwendung muss die Schaffung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums sein.
Der Bund beabsichtigt, einen Teil des Geldes für die Sanierung der maroden Verkehrsinfrastruktur des Bundes zu verwenden, darunter insbesondere die Bundesautobahnen und ihre Brücken. Aufgrund des deutschlandweiten massiven Sanierungsbedarfs ist der Bund jedoch gezwungen, eine Priorisierung der Sanierungsprojekte vorzunehmen. Nach aktuellem Stand wird diese Priorisierung anhand des durch die Autobahn GmbH ausgewiesenen, bundesweiten „Brückenmodernisierungsnetzes“ geschehen. Dieses Netz umfasst jedoch 54 Prozent aller Autobahn-Kilometer deutschlandweit. Die Autobahn GmbH hat daher mit dem „Prioritären Netz“ eine zweite Priorisierungsstufe für Strecken mit vordringlichem Sanierungsbedarf geschaffen. Auch dieses Netz umfasst noch 31 Prozent aller Bundesautobahn-Kilometer.
Bei genauerer Betrachtung des Brückenmodernisierungsnetzes fällt jedoch auf, dass nur 34 Prozent der Bundesautobahn-Kilometer im Landesgebiet Nordrhein-Westfalens im Netz berücksichtigt werden – also eine Berücksichtigung deutlich unterhalb des Bundesschnitts von 54 Prozent. Auch das vorrangige Prioritäre Netz umfasst nur 23 Prozent der Autobahn-Kilometer in Nordrhein-Westfalen, ebenfalls deutlich weniger als die 31 Prozent in der bundesweiten Betrachtung. Somit wird ersichtlich, dass Nordrhein-Westfalen in den aktuellen Sanierungsplänen der Bundesregierung deutlich unterrepräsentiert ist. Nicht zuletzt der Präsident der IHK NRW forderte deshalb in einer Veranstaltung mit Verkehrsminister Krischer jüngst: „Die Mittel des Sondervermögens Infrastruktur [müssen] überproportional nach NRW fließen. “In der Detailbetrachtung zeigt sich zudem, dass wirtschaftlich essenzielle und stark belastete Streckenabschnitte wie die A2 im Ruhrgebiet, die A3 in der Rheinschiene sowie die A40 bis an die Grenze zu den Niederlanden nicht im Prioritären Netz enthalten sind und erst deutlichspäter mit einer Sanierung rechnen dürften.
Derartige Unterrepräsentationen und Verzögerungen kann sich der Wirtschaftsstandort Nord-rhein-Westfalen nicht leisten. Erschwerend hinzu kommt, dass sich Sanierungen und Ersatzneubauten von Brücken insbesondere durch aufwendige Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich in die Länge ziehen. Diese Verfahren ließen sich beispielsweise durch eine vollständige Digitalisierung der Prozesse sowie einen konsequenten Verzicht auf langwierige, sich teils über mehrere Jahre hinziehende Planfeststellungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen (bei Ersatzneubauten und Sanierungen) deutlich beschleunigen. Ebenfalls gilt es, das Beschleunigungspotential alternativer Ausschreibungs- und Vergabemodelle zu prüfen.
Schlussendlich muss auch dafür gesorgt werden, dass die Brücken zukünftig länger erhalten bleiben und Schäden frühzeitig entdeckt werden. Dazu gilt es ein umfassendes Erhaltungsmanagement zu etablieren und die Potentiale digitaler Technologien zu nutzen. Bau-, Zustands- und Belastungsdaten müssen digital erfasst, zusammengeführt und verarbeitet werden – und zwar übergreifend und interoperabel für Verkehrswege des Bundes, der Länder und der Kommunen. Nur so kann der Grundstein für „predictive maintenance“ und eine intelligente Verkehrssteuerung gelegt werden. Hierbei helfen Technologien wie Building Information Modeling, digitale Zwillinge, neue Verfahren zur Achslastmessung wie weigh-in-motion, ein Verschnitt mit Umwelt- und Wetterdaten sowie eine KI-gesteuerte Auswertung.
III. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Eine bedarfsgerechte und gut funktionierende Straßeninfrastruktur, insbesondere in Form von Brücken als Nadelöhre der Verkehrsströme, ist eine notwendige Voraussetzung für den Erhalt des Wirtschaftsstandortes sowie für zukünftiges Wirtschaftswachstum.
- In Nordrhein-Westfalen besteht ein im Bundesvergleich überdurchschnittlich hoher Sanierungsbedarf bei Bundes- und Landstraßen sowie deren Brücken.
- Nordrhein-Westfalen ist auf Grundlage der aktuellen Priorisierung der Sanierungsarbeiten an Bundesautobahnen und Brücken durch die Autobahn GmbH unterdurchschnittlich berücksichtigt. Mehrere Streckenabschnitte mit essenzieller Bedeutung für Wirtschafts-verkehre werden nicht im Prioritären Netz berücksichtigt. Diese Divergenz bedeutet einen enormen Wirtschafts- und Standortnachteil für Nordrhein-Westfalen und muss unverzüglich angepasst werden.
- Neben der unzureichenden Priorisierung sind ebenfalls eine konsequente Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsprozesse sowie ein umfassendes Erhaltungsmanagement notwendig, um Ausfallzeiten, Umleitungen und Beeinträchtigungen bei der Sanierung und im zukünftigen Betrieb zu minimieren.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- sich gegenüber dem Bund vehement für eine Ausweitung des Prioritären Netzes auf weitere Streckenabschnitte der Bundesautobahn in Nordrhein-Westfalen einzusetzen. Ziel muss eine vorrangige Sanierung der wirtschaftlich relevanten Streckenabschnitte sein, die dem überdurchschnittlich hohen Bedarf in Nordrhein-Westfalen gerecht wird.
- im Zuge der Priorisierungsforderung gegenüber dem Bund ein auf die Bedürfnisse des Bundeslands zugeschnittenes Priorisierungskonzept der Bundesautobahnen in Nord-rhein-Westfalen zu entwickeln. Dieses Konzept soll anhand von Kriterien, die die wirtschaftliche Bedeutung der Streckenabschnitte widerspiegeln, erarbeitet werden.
- sich gegenüber dem Bund dafür einzusetzen, dass die Mittel aus dem Sondervermögen Infrastruktur vollständig nach Bedarf vergeben werden, um die ebenfalls im Bundesvergleich überdurchschnittlich beanspruchte und sanierungsbedürftige Straßeninfrastruktur in Zuständigkeit des Landes Nordrhein-Westfalen angemessen zu sanieren.
- geeignete Maßnahmen, wie einen Verzicht auf Planfeststellungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen, zu prüfen, um die Planungs- und Genehmigungsverfahren von Sanierungsprojekten und Ersatzneubauten deutlich zu beschleunigen.
- gemeinsam mit Bund und Kommunen ein umfassendes, digitales Erhaltungsmanagement für alle Brücken im Landesgebiet zu entwickeln, um die zukünftige Nutzungsdauer zu verlängern.