Stabile Kindertagespflege für NRW: Verlässliche Betreuung, faire Bedingungen, sichere Perspektiven
I. Ausgangslage
In Nordrhein-Westfalen ist die Kindertagespflege eine bedeutende und unverzichtbare Säule der frühkindlichen Betreuung und Bildung, insbesondere für Kinder unter drei Jahren. Sie bietet eine flexible und familiennahe Alternative zur Kindertagesbetreuung in Einrichtungen und erfüllt dabei eine gleichrangige Funktion im Rahmen des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz). Der Bedarf an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren (U3) bleibt hoch – dennoch zeigen aktuelle Entwicklungen, dass die Anzahl betreuter Kinder in der Kindertagespflege in Nordrhein-Westfalen rückläufig ist und auch die Zahl der tätigen Tagespflegepersonen spürbar abnimmt.
Die familiennahe Betreuung in der Kindertagespflege ist besonders für Kinder unter drei Jahren geeignet, da sie individuelle Zuwendung, stabile Bezugspersonen und eine alltagsintegrierte Förderung in einem überschaubaren Rahmen ermöglicht. Diese vertraute Betreuungssituation entspricht den Bedürfnissen junger Kinder in besonderem Maße und schafft ein Umfeld, das Sicherheit und Bindung fördert. Gleichzeitig ist die Kindertagespflege ein entscheidender Baustein zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch ihre Flexibilität bei Betreuungszeiten und die persönliche Abstimmung mit den Eltern bietet sie passgenaue Lösungen, die insbesondere Müttern den frühzeitigen Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern. Damit leistet die Kindertagespflege nicht nur einen unverzichtbaren Beitrag zur frühkindlichen Bildung, sondern wirkt auch strukturell unterstützend für die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben.
Laut Angaben von Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) sank die Zahl der in Kindertagespflege betreuten U3-Kinder zum Stichtag 1. März 2025 im Vergleich zum Vorjahr um 4,7 % – ein deutlich überdurchschnittlicher Rückgang gegenüber dem allgemeinen Rückgang der U3-Betreuung um 2,2 %. Auch bei Kindern im Alter von drei bis unter sechs Jahren ging die Zahl der in Kindertagespflege betreuten Kinder um 4,0 % zurück, während die Kindertageseinrichtungen in dieser Altersgruppe einen Zuwachs von 1,5 % verzeichneten. Parallel dazu verringerte sich die Zahl der tätigen Tagespflegepersonen um ebenfalls 4,7 % – der stärkste Rückgang seit Einführung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung im Jahr 2013. Insgesamt sind damit aktuell nur noch rund 14.000 Tagesmütter und -väter in NRW aktiv.
Nordrhein-Westfalen verlässt sich bei der Betreuung von unter Dreijährigen stärker als jedes andere Bundesland auf die Kindertagespflege – sie ist ein tragender Bestandteil des U3-Betreuungssystems. Doch ausgerechnet jene Tagespflegepersonen, auf denen diese wichtige Säule ruht, schlagen zunehmend Alarm. Sie berichten von wachsenden Unsicherheiten, unklaren Perspektiven und strukturellen Hürden, die ihre berufliche Existenz gefährden. Verbände warnen bereits davor, dass das gesamte Betreuungssystem ins Wanken geraten könnte, wenn dem zunehmenden Rückzug von Tagespflegepersonen nicht entschieden entgegengewirkt wird. Ohne verlässliche Rahmenbedingungen und echte Wertschätzung droht dem System der frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen ein struktureller Einbruch – mit weitreichenden Folgen für Kinder, Eltern und den Arbeitsmarkt.
Diese Entwicklungen sind alarmierend – insbesondere vor dem Hintergrund eines weiterhin bestehenden strukturellen Bedarfs an U3-Betreuungsplätzen und einer gleichzeitigen Überlastung vieler Kindertageseinrichtungen. Der Rückgang in der Kindertagespflege verschärft die angespannte Betreuungssituation zusätzlich.
Zwar übersteigt die Nachfrage nach Betreuungsplätzen weiterhin das bestehende Angebot, wodurch Eltern zunehmend Schwierigkeiten haben, für ihre Kinder eine Betreuung zu finden, die ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Die Kindertagespflege bildet eigentlich ein entscheidendes Element, um den Mangel an Kita-Plätzen zu kompensieren und die Wahlfreiheit der Eltern zu gewährleisten. Dennoch melden Tagespflegepersonen zunehmend freie Plätze – ein Widerspruch, der auf strukturelle Hemmnisse und mangelnde Attraktivität der Rahmenbedingungen hinweist.
Neben dem Personalmangel sieht sich die Kindertagespflege auch mit weiteren strukturellen Schwierigkeiten konfrontiert. Es bestehen erhebliche regionale Unterschiede in der Finanzierung und Förderung der Kindertagespflege, die zu einer ungleichen Behandlung der Tagespflegepersonen führen. Verschiedene Jugendämter handhaben die Berechnung der laufenden Geldleistung und deren jährliche Anpassung unterschiedlich, was zu Unsicherheiten und Planungsproblemen für die Betreuungspersonen führt. Während einige Kommunen die tatsächliche Kostenentwicklung nachvollziehen, sehen andere lediglich eine minimale Erhöhung oder gar keine Anpassung vor. Diese Uneinheitlichkeit in der finanziellen Absicherung und die fehlende landesweite Einheitlichkeit, die das KiBiz eigentlich vorsieht, belasten die Tagespflegepersonen und erschweren die Planung und Qualitätssicherung erheblich.
Zudem zeigen sich große Herausforderungen im Zusammenhang mit der Eingewöhnungsphase sowie dem Übergang der Kinder von der Kindertagespflege in eine Kindertageseinrichtung. Für die Eingewöhnungszeit, in der Kinder schrittweise an die Tagesbetreuung gewöhnt werden, werden bestehende Regelungen unterschiedlich gelebt, insbesondere mit Blick auf die Vergütung. So wird nicht in allen Kommunen die laufende Geldleistung auf Grundlage des vertraglich festgelegten Stundenumfangs gewährleistet. Die oft abrupte Beendigung der Betreuung in der Kindertagespflege, wenn ein Kita-Platz zur Verfügung steht, bringt sowohl die Tagespflegepersonen als auch die Eltern in eine belastende Situation. Eltern müssen oft frühzeitig entscheiden, ob sie ihr Kind aus der Tagespflege in eine Kita wechseln lassen, um sich den dortigen Platz zu sichern. Die Tagespflegeperson hingegen verliert damit ein Kind und damit auch die Förderung. Dies stellt das kindliche Wohl sowie die Betreuungsplanung infrage und führt zu einer Verunsicherung sowohl bei den Eltern als auch bei den Tagespflegepersonen.
Ein weiteres Problem ist der Fachkräftemangel in der Kindertagespflege, der durch fehlende Anreize und Hürden bei der Qualifizierung verschärft wird. Die Einstiegskosten für neue Kindertagespflegepersonen sind hoch und die aktuell angebotenen Zuschüsse decken die Qualifizierungskosten nicht ausreichend ab. Das derzeitige Fördervolumen für neue Betreuungskräfte schreckt viele potenzielle neue Fachkräfte ab und hemmt so den Nachwuchs in der Kindertagespflege. Zudem fehlt eine Förderung für die Anschlussqualifizierung, die es erfahrenen Kräften ermöglichen würde ihr Qualifikationsniveau zu erhöhen. Mit dieser Weiterbildung sollte sich auch eine höhere Vergütung erzielen lassen. Ohne eine Ausweitung der Förderung besteht die Gefahr, dass die Zahl der Kindertagespflegepersonen weiter zurückgeht – eine Entwicklung, die bereits mit konkreten Zahlen belegt ist.
Die Rahmenbedingungen der Kindertagespflege sind nicht nur verbesserungswürdig und brauchen klare Zukunftsaussichten, sondern sind teilweise zu komplex und werden unterschiedlich ausgestaltet, sodass sie stark vom Wohnort abhängen und durch kommunale Regelungen beeinflusst werden. Viele Kommunen haben keine verbindlichen Satzungen oder Richtlinien beziehungsweise keine aktualisierten Richtlinien orientiert am KiBiz, was die Regelungen zur Förderung und Finanzierung betrifft. Diese Intransparenz erschwert es Kindertagespflegepersonen, langfristig in ihrem Berufsfeld zu bleiben und führt zu einer regionalen Ungleichheit bei den Betreuungsangeboten.
Um die Kindertagespflege zu stabilisieren und den Betreuungsbedarf in Nordrhein-Westfalen weiterhin flächendeckend und qualitätsgesichert abzudecken, sind deshalb umfassende Maßnahmen erforderlich. Diese müssen die finanzielle Ausstattung, die strukturelle und rechtliche Unterstützung der Tagespflegepersonen sowie die Fachkräftegewinnung verbessern. Hierzu braucht es ein Signal in Form der angekündigten KiBiz-Novellierung, aus der eine klares Bekenntnis für die Zukunft der Kindertagespflege in Nordrhein-Westfalen hervorgeht. Nur so kann die Kindertagespflege als gleichwertiges, verlässliches und zukunftsfähiges Angebot neben den Kindertageseinrichtungen bestehen bleiben.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Die Kindertagespflege ist eine wichtige Säule der frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen.
- Die Kindertagespflege muss als gleichwertige Betreuungsform zur Kita gestärkt werden, um den Betreuungsbedarf zu decken und die Wahlfreiheit der Eltern zu gewährleisten.
- Eine Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen für Kindertagespflegepersonen ist unerlässlich, um diese in ihrer Arbeit zu unterstützen und die Attraktivität des Berufsfeldes zu steigern. Hierüber braucht es in den Kommunen Klarheit und Transparenz gegenüber den Kindertagespflegepersonen und Eltern.
- Der Übergang von der Kindertagespflege zur Kita erfordert Flexibilität, um eine kindgerechte und planungssichere Betreuung zu gewährleisten.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- eine KiBiz-Novellierung vorzulegen, die der Kindertagespflege in Nordrhein-Westfalen klare Zukunftsaussichten bietet und diese strukturell stärkt.
- den landesseitigen Zuschuss für die Qualifizierung nach dem Qualitätshandbuch Kindertagespflege (QHB) bedarfsgerecht anzuheben. Dies geschieht zudem mit einem Zuschuss für die Anschlussqualifizierung 160+, um die Qualität und Motivation der bestehenden Kräfte zu fördern. Der Fortbildungsumfang wird zur Stärkung der Qualität über die bestehenden fünf Stunden hinaus erhöht.
- sicherzustellen, dass sich Weiterqualifikation auch in der Vergütung der Tagespflegepersonen niederschlägt.
- sicherzustellen, dass in Zusammenarbeit mit den Kommunen Satzungen an die geltenden KiBiz-Regelungen angepasst werden und diese freizugänglich und transparent verfügbar sind.
- eine einheitliche Regelung zur Anpassung der laufenden Geldleistung einzuführen, die sich an der tatsächlichen Kostenentwicklung orientiert. Hierbei sollen die mittelbare Arbeit sowie die Sachkosten für Materialien und Arbeitsräume mitbeachtet werden.
- die Rahmenbedingungen zur Eingewöhnungsphase dahingehend zu konkretisieren, dass die laufende Geldleistung bereits während der Eingewöhnung auf Grundlage des vertraglich festgelegten Stundenumfangs gewährt wird.
- einen landesweiten Mindeststandard an bezahlten Ausfalltagen bei Krankheit des Kindes zu etablieren, um finanzielle Einbußen für Kindertagespflegepersonen zu verhindern,
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- eine Regelung bezahlter Ausfallzeiten auch im Falle des eigenen Erholungsurlaubs der Tagespflegeperson sicherzustellen,
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- eine Überarbeitung der Vertretungsregelung auch in der Großtagespflege, ohne die Bindung an ein Kind, vorzulegen sowie
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- ein belastbares System von qualifizierten „Springerkräften“ umzusetzen.
- Gemeinsam mit den Trägern von Kindertageseinrichtungen erweiterte Kooperationsmodelle zwischen Kitas und Kindertagespflege zu entwickeln.
- die Kommunen dabei zu unterstützen mit Hilfe von digitalen Lösungen das Angebot der örtlichen Kindertagespflegepersonen darzustellen sowie über kurzfristig freie bzw. freigewordene Plätze zu informieren.
- bei den Landesjugendämtern Schlichtungsstellen einzurichten, die bei unterschiedlichen Auslegungen des KiBiz und in Konfliktfällen als offizielle Anlaufstellen fungieren.