Standort Nr. 1 – Für einen Neustart in der Wirtschaftspolitik – Nordrhein-Westfalen zurück auf den Wachstumspfad bringen
Vorbemerkung
Wachstum, Innovation und ein stabiles wirtschaftliches und finanzielles Fundament sind Voraussetzungen: Für individuelles Vorankommen durch eigene Leistung, für staatliche Ausgaben von der Sicherheit über Sozialleistungen bis hin zum Klimaschutz, für individuelle Chancen und sichere Arbeitsplätze. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der Sozialen Marktwirtschaft ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass dieser Wohlstand gesichert wird und Investitionen finanziert werden können, die für die klimaneutrale Transformation von Wirtschaft und Industrie und die Modernisierung des Landes notwendig sind.
Wachstumsprozesse der Wirtschaft kommen in Gang, wenn für Investitionen attraktive Rahmenbedingungen bestehen. Hier geraten Deutschland und Nordrhein-Westfalen im internationalen Vergleich zunehmend ins Hintertreffen und verlieren an Wettbewerbsfähigkeit. So ist Deutschland in der Rangliste attraktiver Wirtschaftsstandorte auf einen der letzten Plätze abgerutscht. Neben fesselnder Bürokratie, langen Planungs- und Genehmigungsverfahren, einer hohen Steuer- und Abgabenbelastung und einer behäbigen Innovationsbereitschaft verschlechtern insbesondere hohe Energiekosten, Arbeitskräftemangel und eine veraltete Infrastruktur die Standortqualität.
Wir brauchen eine wachstums- und angebotsorientierte Politik, die Investitionen in Innovationen und damit Rahmenbedingungen für die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze fördert.
Als größtes deutsches Bundesland muss Nordrhein-Westfalen hier wieder eine Vorreiterrolleeinnehmen: Der Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen muss allen, die hier produzieren und Arbeitsplätze schaffen, die besten Rahmenbedingungen bieten. Unternehmen und Betriebe brauchen die richtigen Strukturen, um zu wachsen und aktuelle Herausforderungen wie den Strukturwandel, digitale Transformation und Klimaschutz zu meistern.
I. Ausgangslage
Hohe Energie-, Bau- und Transformationskosten trüben jedoch ebenso wie marode Infrastruktur und Bürokratie die Geschäfts- und Wachstumsaussichten der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Wichtige Zukunftsinvestitionen vor Ort werden verschoben oder unterbleiben.
Die deutsche Wirtschaft ist im ersten Quartal 2023 in die Rezession gerutscht. Zum zweiten Mal nach dem vierten Quartal 2022 hat die Wirtschaftsleistung abgenommen. Sowohl die hohe Inflation und die Zinswende lassen den privaten Konsum einbrechen, gleichzeitig schwächelt insbesondere die Industrie. Als Kernland der Industrieproduktion ist Nordrhein-Westfalen in besonderer Weise hiervon betroffen.
Die Wirtschaftsleistung in Nordrhein-Westfalen sinkt 2023 um 0,3 Prozent und entwickelt sich damit schwächer als der Bundesdurchschnitt.
Noch schwerer als die aktuellen Herausforderungen wiegen die suboptimalen Standortbedingungen in Deutschland und Nordrhein-Westfalen, die die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit vieler Betriebe beeinträchtigen.
Im Vergleich zu vielen anderen entwickelten Volkswirtschaften hat Deutschlands Kapitalstock in den vergangenen knapp 20 Jahren erheblich an Qualität eingebüßt, wie eine aktuelle Untersuchung zeigt. Zum Kapitalstock zählen Maschinen, Straßen, Fabrikgebäude, Schulen und auch geistiges Eigentum aus dem Bereich Forschung und Entwicklung, Software und Datenbanken. Dieser Kapitalstock bildet mit den Arbeitskräften die Grundlage dafür, wie sich eine Volkswirtschaft entwickeln kann. Die Entwicklung Deutschlands ist besorgniserregend. Frankreich, Großbritannien und die Niederlande stehen beispielsweise mit einem moderneren Kapitalstock deutlich besser da.
Deutschland ist ein Höchststeuerland, in dem laut aktuellen Studien, das Unternehmenssteueraufkommen innerhalb der letzten zehn Jahre mit 45 Prozent deutlich stärker gestiegen ist als in anderen Industrieländern. Die nominalen Steuersätze für Kapitalgesellschaften lagen in Deutschland im Jahr 2022 bei 29,8 Prozent. Unter den OECD-Staaten waren die Steuersätze für Firmen nur in Portugal höher.
Im Vergleich zu anderen Industrieländern ist die Forschungs- und Entwicklungsintensität der meisten Wirtschaftszweige in Deutschland unterdurchschnittlich. Als größte europäische Volkswirtschaft stellt Deutschland mit 29 Unternehmen unter den 500 forschungsintensivsten Unternehmen nur 5,8 Prozent der TOP-Investoren. Die Hälfte der weltweit kommerziellen Forschungs- und Entwicklungsausgaben entfällt auf US-Konzerne.
Das ZEW Mannheim kommt zu dem Schluss, dass Deutschlands Standortfaktoren mit denen an Spitzenstandorten in Nordamerika, Westeuropa und Skandinavien nicht mithalten können. Insbesondere in den Bereichen Regulierung, Steuerbelastung und Energie wird der deutsche Standort ungünstig bewertet. Beim Thema Infrastruktur vergrößert sich der Abstand zu den Spitzenstandorten aufgrund der hohen Sanierungsbedarfe.
II. Handlungsnotwendigkeiten
Die beschriebenen deutschen Standortnachteile sind in Nordrhein-Westfalen verstärkt zu finden. Im Bundesländerindex der Familienunternehmen bildet Nordrhein-Westfalen im Bereich Steuern im Ländervergleich das Schlusslicht aufgrund sehr hoher Gewerbesteuer- und Grundsteuer-B-Hebesätze in seinen Kommunen. Steuerliche Belastungen für Betriebe sind nirgendwo in Deutschland so hoch wie in Nordrhein-Westfalen.
Beim Vergleich der Ausgaben für Forschung und Entwicklung der jeweiligen Bundesländer liegt Nordrhein-Westfalen mit einem Anteil von 2,16 Prozent am Bruttoinlandsprodukt abgeschlagen im unteren Mittelfeld, weit hinter anderen großen Flächenländern wie Baden-Württemberg (5,79 Prozent), Bayern (3,41 Prozent) und Niedersachsen (3,14 Prozent).
Das IW Köln kommt in seinem aktualisierten Kommunalranking 2023 für die 396 Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis, dass die NRW-Kommunen im Deutschlandvergleich bei Standortbedingungen nur unterdurchschnittlich abschneiden. Dabei fließen 17 Indikatoren aus den vier Themenbereichen Wirtschaft, Arbeiten, Wohnen und Lebensqualität in das Niveau-Ranking (Status Quo aller Kommunen) ein. Im Niveau-Ranking sind die NRW-Kommunen, obwohl Nordrhein-Westfalen rund vier Prozent aller Städte und Gemeinden deutschlandweit stellt, in den TOP 100 Kommunen unterrepräsentiert. Auch beim Dynamik-Ranking (Entwicklung der Kommunen im Vergleich zum letzten Datenstand 2020) sind unter den deutschlandweiten TOP 1000 nur vier Kommunen aus Nordrhein-Westfalen vertreten. Die Auswertung des IW Köln zeigt, dass gute wirtschaftliche Bedingungen vor Ort die Handlungsfähigkeit der Kommunen bedingen. Eine leistungsfähige digitale und verkehrliche Infrastruktur, wettbewerbsfähige Steuersätze für Gewerbe und Industrie sowie die regionale Innovationskraft sind wichtige Faktoren für die Standortattraktivität einer Region.
Ein Zentraler Ansatz für die Verbesserung der Standortbedingungen liegt ebenfalls in der Erhöhung der Umsetzungskraft der Landes- und Kommunalverwaltungen. Hierfür sind eine geeignete personelle und finanzielle Ausstattung, Nutzung aller Digitalisierungspotentiale, einfache und unbürokratische Verwaltungsverfahren und eine wirtschaftsfreundliche, serviceorientierte, partnerschaftliche Ermöglichungskultur unabdingbar.
Mit einer erfahrenen Industrie und einem starken Mittelstand und Handwerk, einer dichten, differenzierten Wissenschafts- und Forschungslandschaft, einer dichten Infrastruktur und lebenswerten Städten und Gemeinden hat Nordrhein-Westfalen alle Voraussetzungen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Es ist eine umfangreich angelegte Standortinitiative des Landes erforderlich, um kurz- mittel- und langfristig die Standortfaktoren Nordrhein-Westfalens konsequent zu verbessern.
Der Landtag stellt fest,
- eine gesunde Wirtschaft, die wachsen und florieren kann, sichert und schafft Arbeitsplätze und Lebenschancen und ermöglicht ein leistungsfähiges Gemeinwesen, das seine öffentlichen Aufgaben erfüllen kann.
- Unternehmen und Betriebe sollen sich ganz auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können: Erfolgreich und nachhaltig wirtschaften, ohne dabei von staatlicher Überregulierung ausgebremst zu werden.
- damit eine klimafreundliche Transformation von Wirtschaft und Industrie gelingt, die Wohlstand und Lebenschancen schafft und erhält, brauchen wir eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur, beste Bildung, eine einfache und bürokratiearme Verwaltung und Innovations- und Entwicklungsfreiräume für Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger.
- Nordrhein-Westfalen muss sich wieder zu einem der attraktivsten Wirtschaftsstandorte Europas entwickeln. Nordrhein-Westfalen muss Vorreiter für Genehmigungsbeschleunigung und Verwaltungsdigitalisierung werden und ein zentraler Standort für Talente, Ideen, Forschung und Innovationen sein, der aus Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein Wohlstandsversprechen macht.
- die Sanierung von Brücken, Straßen, Wasserstraßen und Schienen brauchen ebenso wie der Ausbau des Glasfasernetzes oder der Neubau oder die Modernisierung von Industrieanlagen es ein höheres Genehmigungstempo für den Umbau unserer Wirtschaft und Infrastruktur.
- es ist daher eine umfangreich angelegte Standortinitiative des Landes erforderlich, um kurz- mittel- und langfristig die Standortfaktoren Nordrhein-Westfalens konsequent zu verbessern.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen und eine dauerhaft wirkende Bürokratiebremse bei allen rechtlichen Regeln und Maßnahmen des Landes zu veranlassen.
- Förderbürokratie bestmöglich zu minimieren, unterschiedliche Förderprogramme, wo geeignet, zusammenzulegen und sämtliche Förderprogramme und -verfahren transparent, bürokratiearm, effizient und nutzerfreundlich auszugestalten.
- sich dafür einsetzen, die Steuerbelastungen in Nordrhein-Westfalen mindestens auf den Bundesdurchschnitt zu senken.
- die vollständige Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung umzusetzen mit einem Digitalisierungsgrundsatz und dem Recht auf digitale Erledigung für alle Verwaltungsdienstleistungen.
- das Wirtschafts-Service-Portal.NRW als zentralen digitalen Zugang für alle unternehmensrelevanten Servicedienstleistungen auszubauen.
- einen ganzheitlichen Aktionsplan aufzusetzen, mit dem Planungs- und Genehmigungsverfahren in allen Bereichen beschleunigt werden. Hierbei sind die Potentiale einer medienbruchfreien digitalen Bearbeitung von der Antragsstellung bis zur Bescheidung zu nutzen.
- die bedarfsgerechte Modernisierung der Verkehrsinfrastrukturen des Landes voranzutreiben, die wirtschaftliche Entwicklung und individuelle Mobilität fördert, alle Verkehrsträger gleichberechtigt berücksichtigt und insbesondere den Neu- und Ausbau von Straßen in ländlichen Regionen wieder ermöglicht.
- den flächendeckenden Ausbau mit Glasfaser und Mobilfunk nach dem höchsten Standard wettbewerbsgetrieben bis spätestens Ende 2025 zu gewährleisten.
- dafür Sorge zu tragen, dass Industrie- und Gewerbeflächen in ausreichender Zahl und Qualität an geeigneten Standorten langfristig und planungssicher zur Verfügung stehen.
- die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Kommunen die wirtschaftliche Attraktivität ihres Standortes aus eigenen Kräften aktiv steigern und gestalten können.
- die begonnene Fachkräfteoffensive zu einer Ausbildungs- und Anwerbeoffensive auszubauen und dabei die berufliche Bildung als attraktiven Berufsweg zu stärken und qualifizierte Einwanderungen nach Nordrhein-Westfalen deutschlandweit am schnellsten und einfachsten zu ermöglichen.
- eine Innovationsstrategie 2.0 zu entwickeln, die eine innovative Grundlagenforschung, gezielte Ausgründungs- und Gründerförderung, die Aktivierung von Wagniskapital sowie ermöglichende Rahmenbedingungen für den Erfolg von Deep-Tech-Innovationen beinhaltet.
- durch geeignete Maßnahmen den schonenden Abbau auch weiterhin notwendiger Primärrohstoffe in Nordrhein-Westfalen zu sichern, sofern der allgemeine Bedarf nicht ausreichend durch Recycling und Sekundärrohstoffe gedeckt werden kann.
- auf die Erhebung zweckgebundener oder nicht zweckgebundener Rohstoffabgaben zu verzichten, die potentiell preissteigernd wirken oder eine ungebührliche Belastung für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen bedeuten.
- sich für eine zügige Ausweitung eines günstigen und klimafreundlichen Energieangebots in Nordrhein-Westfalen einzusetzen und hierbei neben Wind- und Solarenergie die ganze Bandbreite Erneuerbarer Energien von Wasserkraft, Biomasse, Geothermie, Wärme aus Ab- und Grubenwässern gleichermaßen zu nutzen sowie eine zuverlässige Energieversorgung durch ausreichend gesicherte Leistung und Netzkapazitäten zu gewährleisten.
- den Weg zur Erreichung des Klimaneutralitätsziels im Jahr 2045 technologieoffen, marktwirtschaftlich, kosten- und emissionseffizient auszugestalten und Maßnahmen und Technologien für zirkuläres Wirtschaften sowie Speicherung von CO2 zu ermöglichen und zu fördern.