Strukturbruch im Industrieland Nordrhein-Westfalen abwenden und angekündigte Härtefalllösungen sehr zeitnah auf den Weg bringen

zur Unterrichtung durch die Landesregierung am 4. November 2022

I. Ausgangslage

Die derzeitige Energie- und Inflationskrise trifft unsere Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger mit voller Wucht. Viele energieintensive Betriebe können trotz guter wirtschaftlicher Substanz nicht mehr kostendeckend produzieren. Kurzfristig drohen Zahlungsunfähigkeiten und der Verlust vieler Arbeitsplätze. Kommunen und sozialen Einrichtungen brechen gegenwärtig ihre finanziellen Handlungsspielräume weg. Es droht eine Situation, in der Teile unserer sozialen Infrastruktur ihren Aufgaben für Gemeinwesen und Daseinsfürsorge nicht mehr ausreichend nachkommen können. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass Bund und Länder im Rahmen ihrer Beratungen am 2. November 2022 zu vielen zentralen Entlastungsmaßnahmen Einigkeit erzielen konnten. Hervorzuheben ist insbesondere die Bereitschaft des Bundes, mit bis zu 12 Mrd. Euro einen Härtefallfonds auf dem Weg bringen zu wollen, der überall dort Lücken schließt, wo die kommenden Energiepreisbremsen allein Existenzen nicht sichern können.

Die erste große Bewährungsprobe kommt auf diesen angekündigten Härtefallfonds allerdings bereits sehr kurzfristig zu. Denn: Für viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ist die aktuelle Lage jetzt und heute mit explodierenden Energiepreisen, hoher Inflation, höheren Personalkosten, steigenden Zinsen und weiterhin bestehenden Lieferkettenprobleme zusammen mit einer spürbaren Konsumzurückhaltung bedrohlich. Die sich in Umsetzung befindlichen Energiepreisbremsen könnten angesichts zunehmend aufgezehrten Rücklagen für viele Betriebe zu spät kommen. Wird diese Entlastungslücke nicht sehr zeitnah überbrückt, droht im Industrieland Nordrhein-Westfalen ein Strukturbruch mit dem Verlust von vielen Tausend gut bezahlten Arbeitsplätzen. Dass die Zeit in Nordrhein-Westfalen besonders stark drängt, zeigen nicht zuletzt auch die jüngst am 2. November 2022 vom ifo-Institut veröffentlichten Wachstumszahlen der Bundesländer im dritten Quartal 2022: Mit einem saison- und kalenderbereinigtem Wirtschaftseinbruch von minus 2,8 Prozent gegenüber dem Vorquartal steht Nordrhein-Westfalen leider mit deutlichem Abstand auf dem letzten Platz aller deutschen Bundesländer.

Mit Sorge blicken wir daher auf den angekündigten weiteren Erörterungs- und Koordinierungsprozess zwischen Bund und Ländern, der dem Startschuss für die dringend benötigten Härtefallregelungen vorgelagert werden soll. Denn: Jeder Tag vermeidbarer Verzögerung gefährdet die wirtschaftliche Existenz unseres Landes. Die sich zuletzt – auch aufgrund strategischer Winkelzüge der Länder –in die Länge gezogene Bund-Länder-Beratungen zu Entlastungsmaßnahmen sind leider keine Blaupause für die noch erforderlichen Abstimmungen zum Härtefallfonds. Als massiv betroffenes Industrieland muss Nordrhein-Westfalen eine Vorreiterrolle übernehmen und auf schnelle Gespräche und einen sehr zeitnahen Start der Härtefalllösungen hinwirken. Das gilt umso mehr, weil Nordrhein-Westfalen aktuell den Vorsitz der für die Abstimmungen maßgeblich relevanten Wirtschaftsministerkonferenz (WMK) inne hat. Der nächste reguläre Sitzungstermin der WMK am 9. Dezember 2022 ist jedoch zu spät. Bei den sehr zeitnahen Abstimmungen muss gewährleistet werden, dass die notwendigen Antragsverfahren so unkompliziert und einfach wie möglich ausgestaltet werden, damit dringend benötigte Hilfen die Betroffenen rechtzeitig erreichen.

Während für die Betriebe in unserem Land mit dem Härtefallfonds des Bundes absehbar eine überbrückende Lösung bereitstehen kann, sind viele kurzfristige Probleme auf kommunaler Ebene weiter unbeantwortet. Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen stellen sich aktuell einer multiplen Krise mit stark gestiegener Inflation, ausufernden Energiepreisen und einem Zustrom von schutzbedürftigen geflüchteten Menschen. Dort wo finanzielle Handlungsspielräume ausgereizt sind, drohen bei massiv gestiegenen Kosten heruntergefahrene soziale Infrastrukturen u.a. bei der frühkindlichen Betreuung, dem Offenen Ganztag oder der Jugendhilfe. Weiter drohen neben geschlossenen Sporteinrichtungen auch ausbleibende (Erhaltungs-)Investitionen und nicht zuletzt auch krisenverstärkende kommunale Abgaben- und Steuererhöhungen zur Aufrechterhaltung der kommunalen Handlungsfähigkeit.

Um diese drohenden Szenarien aufzufangen, muss die Landesregierung dem Landtag sehr zeitnah konkrete Vorschläge für die ergänzende Unterstützung der Kommunen in Nordrhein-Westfalen vorlegen. Denn: Nachdem die Mehrheit des Landtags eine von der FDP-Fraktion vorgeschlagene kurzfristig wirksame Erhöhung der allgemein deckungsfähigen kommunalen Investitionspauschale (DS 18/1482) im Rahmen der Beratungen zum Nachtragshaushaltsgesetz 2022 (DS 18/900) abgelehnt hat, drängt auch hier die Zeit, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Kommunen vor Ort zu sichern.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  1. Die Energie- und Inflationskrise trifft das Industrieland Nordrhein-Westfalen schon heute deutlich stärker als andere Bundesländer. Ohne schnelle Hilfen droht vielen Betrieben trotz guter wirtschaftlicher Substanz zeitnah die Zahlungsunfähigkeit und damit auch der Verlust von vielen Arbeitsplätzen.
  2. Die sich in Umsetzung befindlichen Energiepreisbremsen könnten angesichts zunehmend aufgebrauchter Rücklagen für viele Betriebe nicht rechtzeitig erreichen.
  3. Die angekündigten Härtefalllösungen aus Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes sind grundsätzlich ein wirksames Instrument, um diese drohenden Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste abzuwenden. Dazu müssen die entsprechenden Regelungen aber sehr zeitnah auf den Weg gebracht werden, um auch die Zeit bis zum Einsetzen der Energiepreisbremsen zu überbrücken.
  4. Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen stellen sich aktuell einer multiplen Krise mit stark gestiegener Inflation, ausufernden Energiepreisen und einem Zustrom von schutzbedürftigen geflüchteten Menschen und benötigen daher sehr zeitnah ergänzende Unterstützungen des Landes. Anderenfalls drohen angesichts massiv gestiegener laufender Kosten Einschränkungen bei wichtigen sozialen Infrastrukturen wie der frühkindlichen Betreuung, im Offenen Ganztag oder der Jugendhilfe.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  1. in den anstehenden koordinierenden Gesprächen mit dem Bund zu einem Härtefallfonds eine Vorreiterrolle zu übernehmen und auf einen sehr zeitnahen Start der Härtefalllösungen hinarbeiten und darauf hinzuwirken, dass die notwendigen Antragsverfahren so unkompliziert und einfach wie möglich ausgestaltet werden.
  2. dem Landtag zeitnah konkrete Vorschläge für eine unmittelbar wirksame ergänzende Unterstützung der Kommunen in Nordrhein-Westfalen vorzulegen.

Henning Höne
Marcel Hafke
Ralf Witzel
Dietmar Brockes

und Fraktion