Studierende und Universitäten bei Mobilitätsfragen entlasten und „Ticketstudium“ überflüssig machen
I. Ausgangslage
Mobilität ist ein gesellschaftliches Grundbedürfnis. Die dauerhafte Einführung des Deutschlandtickets, auch bekannt als 49€-Ticket, ab voraussichtlich April 2023 stellt einen Paradigmenwechsel in der deutschen Verkehrspolitik dar. Die bisherige äußerst komplexe Tarifstruktur sowie das System von Verkehrsverbünden wurde und wird von vielen Menschen als schwierig zu durchschauen empfunden. Durch ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket wird die Nutzung des ÖPNV für viele Bürgerinnen und Bürger nicht nur deutlich günstiger, sondern vor allem auch deutlich einfacher.
An den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen haben sich die Studierenden Ende der 2000er Jahren dafür entschieden, das zuvor nur für den jeweiligen Verkehrsverbund gültige Semesterticket zu einem NRW-weiten Ticket zu erweitern. In hochschulweiten Abstimmungen haben sich jeweils große Mehrheiten der Studierenden unter Inkaufnahme von Mehrkosten für ein NRW-Ticket ausgesprochen. Auch wenn eine Minderheit die Zusatzkosten im Vergleich zum zusätzlichen Nutzen durch die größere Ticketreichweite für nicht gerechtfertigt hielt, fand die Einführung des NRW-Tickets an den Hochschulen eine breite Akzeptanz. Zu dieser hohen Akzeptanz hat sicherlich beigetragen, dass es zu dieser Zeit kein derart einfaches Ticket zu annähernd vergleichbaren Kosten gab.
Durch die Einführung des Deutschlandtickets ändert sich die Situation nun auch für Studierende grundlegend. Der auf das NRW-weit gültige Semesterticket entfallende Kostenanteil am Semesterbeitrag liegt an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen bei etwa 210 €. Hinzu kommen Kosten für Verwaltung und Vertragsmanagement, da jede Hochschule die Bedingungen des Semestertickets mit den jeweiligen Verkehrsverbünden selbst verhandelt. Das Deutschlandticket hat im Vergleich zum Semesterticket neben dem größeren (bundesweiten) Geltungsgebiet zudem den Vorteil, dass die Inanspruchnahme freiwillig und monatlich kündbar ist. Sollten sich die Studierenden einer Hochschule entscheiden, auf das Semesterticket zukünftig zu verzichten, ginge dies für viele Studierende mit einer finanziellen Entlastung einher. Der Semesterbeitrag könnte im Durchschnitt für alle Studierende der Hochschule von rund 320 € pro Semester auf rund 110 € pro Semester reduziert werden. Entlastet werden dadurch etwa solche Studierende, die lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind und auf ein Ticket ganz verzichten könnten. Entlastet werden aber auch solche Studierende, die ein Ticket nicht für das gesamte Semester benötigen. Die Entscheidung über die Fortführung oder Einstellung des Semestertickets sollte weiterhin von den Studierenden der jeweiligen Hochschule getroffen werden.
Vor Einführung des Deutschlandtickets bot das NRW-weite Semesterticket eine beispiellos günstige Möglichkeit zur Nutzung des ÖPNV. Durch die Einführung des Deutschlandtickets wird die ÖPNV-Nutzung für alle Bürgerinnen und Bürger günstiger, was ebenso bedeutet, dass der Abstand zwischen den Kosten für die ÖPNV-Nutzung zwischen Studierenden und Nicht-Studierenden sinkt. Aus dieser Verbesserung für alle Bürgerinnen und Bürger leitet sich aber für Studierende kein Anspruch auf ein aus Steuermitteln noch weiter vergünstigtes deutschlandweit gültiges Semesterticket ab. Mit Beginn des Wintersemesters 2022/23 wurden zudem mit der Anhebung der BAföG-Bedarfssätze, der Anhebung der Altersgrenze zur Inanspruchnahme des BAföG sowie der Ausweitung der BAföG-berechtigten Personenkreises die Studienbedingungen von Studierenden gezielt verbessert.
Die Einführung des Deutschlandtickets bietet auch eine Alternative für Kapazitäten an den Hochschulen bindende sogenannte „Ticketstudierende“. Bislang setzte das bespiellos günstige Semesterticket auch Anreize, sich an einer Hochschule einzuschreiben ohne Studienleistungen erbringen zu wollen, da es ein vergleichbar preiswertes landesweit gültiges Nachverkehrsticket bislang nicht gab. Das Deutschlandticket ändert auch diesen Umstand! Auch wenn es über die Anzahl der sog. Ticketstudierenden keine offiziellen Zahlen gibt, gehen Schätzungen davon aus, dass an einigen Hochschulen die sog. „Ticketstudierende““ bis zu 25 Prozent “ ausmachen. Den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen ist dies grundsätzlich bekannt. Allerdings verzichten die meisten Hochschulen auf die Anwendung rechtlich bestehender Möglichkeiten, z.B. Zwangsexmatrikulation von Studierenden, die unbegründet (also ohne Beurlaubung oder nicht wegen Erkrankung, Eltern- oder Pflegezeiten) über längere Zeit keine Studienleistungen erbringen. Damit nehmen die Hochschulen die missbräuchliche Nutzung des Semestertickets und insbesondere die durch „Ticketstudierende“ ausgelösten Verzerrungen der Auslastung von Studiengängen hin.
Die Einführung des Deutschlandtickets eröffnet auch hier die Möglichkeit zur Veränderung durch eine einfache und finanziell attraktive Mobilitätsalternative. Die Landesregierung sollte deshalb mit den Hochschulen in den Dialog über die Erarbeitung eines Maßnahmenpakets treten mit dem Ziel, sog. „Ticketstudierende“ zu identifizieren und auf ihre – möglichst freiwillige – Exmatrikulation hinzuwirken.
Da die Einführung eines bundesweit gültigen, günstigen Deutschlandtickets für April 2023 avisiert wird, wäre eine Lösung für den Umgang mit den Semestertickets möglichst bis zum Beginn des Sommersemesters am 1. April 2023 spätestens aber zum folgenden Wintersemester nötig und sinnvoll.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Mobilität ist ein gesellschaftliches Grundbedürfnis.
- Die Einführung des Deutschlandtickets macht die Nutzung des ÖPNV für alle Bürgerinnen und Bürger einfacher und günstiger.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- mit Hochschulen und Studierenden in einen Austausch über die Zukunft des Semestertickets nach Einführung des Deutschlandtickets zu treten. im Dialog mit den Hochschulen ein Maßnahmenpaket zur Reduzierung der sog. „Ticketstudierenden“ zu erarbeiten und umzusetzen.