Umstände des Kohleausstiegs 2030 weiterhin nebulös: Warum weigert sich die Landesregierung, Parlament und Öffentlichkeit zu informieren?

Die am 4. Oktober 2022 verkündete Kohleausstiegsvereinbarung der Landesregierung mit RWE und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz für das Jahr 2030 hat erhebliche Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit von Industrie und Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen und den eingeleiteten Strukturwandel im Rheinischen Revier. Fraglich bleibt weiterhin, warum der Landtag als zentrales Organ der politischen Willensbildung im Vorhinein nicht einbezogen wurde, um diese landesbedeutsame Entscheidung zu begleiten und zu legitimieren. Stattdessen stellt die Landesregierung den Landtag vor vollendete Tatsachen und verlangt eine Legitimierung der Entscheidung im Nachhinein. Das lässt sich schwerlich mit der Parlamentsinformationsvereinbarung zwischen Landesregierung und Landtag sowie den Beteiligungsrechten des Landtages und seiner Mitglieder in Einklang bringen.

Die sogenannte Parlamentsinformationsvereinbarung ist eine Verpflichtungserklärung der Landesregierung gegenüber dem Landtag, diesen frühzeitig und umfassend über Entwicklungen und Vorhaben aus der Sphäre der Landesregierung zu informieren. Es handelt sich dabei um eine Ausprägung des Gebots der Organtreue, einem ungeschriebenen Verfassungsprinzip, das eine gegenseitige Rücksichtnahmepflicht der Verfassungsorgane statuiert und zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet. Die Parlamentsinformationsvereinbarung konkretisiert zudem im Wege einer Selbstverpflichtung die Mindestanforderungen des Art. 40 Abs. 1 Landesverfassung NRW hinsichtlich der Verpflichtung der Landesregierung zur Information.

Als Parlament, dessen Aufgabe auch die Kontrolle der Regierung und deren exekutiven Handelns ist (vgl. Art. 30 Abs. 1 S. 2 Landesverfassung NRW), ist der Landtag auf Informationen der Landesregierung angewiesen, um seine verfassungsrechtlichen Aufgaben wahrnehmen zu können. In der Parlamentsinformationsvereinbarung heißt es unter anderem: „Das federführende Ministerium unterrichtet den Landtag frühzeitig über Vorhaben der Landesplanung, die für die Entwicklung des Staatsgebietes oder größerer Teile desselben von erheblicher Bedeutung sind.“, sowie: „Die Landesregierung wird bei der Auslegung der Vereinbarung das Interesse des Landtages berücksichtigen, […] b) auch dann Informationen zu erhalten, wenn Gegenstände von erheblicher landespolitischer Bedeutung über die vereinbarten Fallgruppen hinaus Belange des Landtages wesentlich berühren.“

Vor diesem Hintergrund entfalten die Umstände der Entstehung des Eckpunktepapiers zum Kohleausstieg 2030, sowie die Information des Parlaments darüber erhebliche Bedeutung. Im Zusammenhang mit diesem Sachverhalt sind mehrere Kleine Anfragen anhängig gewesen, die von der Landesregierung teilweise beantwortet wurden, insbesondere die Kleinen Anfragen 537 und 632.

In der Beantwortung dieser Anfragen hat Ministerin Neubaur eingeräumt, dass der Grünen-Fraktion vorab privilegiert Informationen zur Verfügung gestellt wurden, deren Erkenntnisse aus der Sphäre der Landesregierung stammen. Gleichzeitig wird seitens der Landesregierung in den Antworten behauptet, dass aus zeitlichen Gründen vor der Pressekonferenz am 4. Oktober 2022 keine Information des Parlaments möglich gewesen sei. Dies steht sowohl im Widerspruch zur Vorab-Information der Grünen-Fraktion durch Ministerin Neubaur als auch zur Terminierung der Pressekonferenz „Ende September“ (Drs. 18/1621).

Weitere Nachfragen zum Sachverhalt sind notwendig, weil die Landesregierung sich weiterhin weigert, offen und transparent zum RWE-Deal zu kommunizieren. So wird in der Beantwortung der Frage Nr. 5 der Kleinen Anfrage 632 (Drs. 18/1699) („Inwiefern lässt sich die bevorzugte Information der regierungstragenden Fraktionen mit Blick auf die parlamentarischen Informations- und Minderheitenrechte rechtfertigen?“) pauschal auf die Beantwortung der Frage Nr. 4 der Kleinen Anfrage 537 verwiesen. Eine Antwort auf die Frage wird dort jedoch nicht gegeben. Auch zu weiteren Fragen werden Antworten verweigert, so dass erneute Fragen zum Sachverhalt notwendig sind.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Inwiefern lässt sich eine bevorzugte Information der regierungstragenden Fraktionen mit Blick auf die parlamentarischen Informations- und Minderheitenrechte rechtfertigen?
  2. Ausweislich der Beantwortung der Fragen Nr. 3 und 4 der Kleinen Anfrage 537 erfolgte die Terminierung der Pressekonferenz zu einem nicht mehr bestimmbaren Datum „Ende September“, während die Information des Parlaments erst am 19. Oktober stattfand. Erachtet die Landesregierung, vor dem Hintergrund dieser Zeitachse, die Information des Parlaments als sachgemäß und angemessen?
  3. Ist die Beantwortung der Frage Nr. 4 der Kleinen Anfrage 632 zutreffend, dass Frau Ministerin Neubaur am Morgen des 4. Oktober 2022 der Grünen-Landtagsfraktion lediglich zu den Verhandlungen berichtet habe oder wurde tatsächlich auch zu den Verhandlungsergebnissen berichtet?
  4. Eine Beantwortung der Frage Nr. 3 der Kleinen Anfrage 632 erfolgte nicht, ist aber insbesondere auch vor dem Hintergrund der exakten mitgeteilten Informationen erheblich, sodass auch diese Frage erneut gestellt wird: Haben im Rahmen der Sitzung der Grünen-Fraktion am Morgen des 4. Oktober 2022 Mitglieder der Landesregierung Informationen weitergegeben, die ihnen ausschließlich in dieser Funktion vorlagen (insb. Inhalte aus der o.g. Pressekonferenz)?

Henning Höne