Vergabeverfahren im Straßenbau – Vorteile der Funktionalausschreibung nutzen

I. Ausgangslage

Bekanntlich befindet sich die Straßeninfrastruktur in einem erschreckend schlechten Zustand. Immer wieder müssen Straßen, Brücken und Tunnel kurzfristig gesperrt oder ihre Nutzung eingeschränkt werden. Gleichzeitig nimmt der Straßenverkehr stetig zu. Um diese zurzeit noch tendenziell gegenläufigen Entwicklungen auszugleichen, ist Eile im Straßenbau geboten. Dementsprechend sieht das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Nordrhein-Westfalen unter anderem im Vergabeverfahren einen Weg, den Straßenbau effizienter zu gestalten. Unter Punkt 7 der Sanierungsoffensive „Straßeninfrastruktur NRW“ hat sich das Ministerium eine „Beschleunigung durch Entschlackung von Haushalts- und Vergaberecht“ vorgenommen. Eine frühe Möglichkeit, Bauverfahren zu beschleunigen, bietet sich im Vergabeverfahren bereits zum Zeitpunkt der Ausschreibung eines Projektes.

Bauleistungen werden nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit vergeben. In der Regel richtet sich das Vergabeverfahren für den Straßenbau in Nordrhein-Westfalen nach § 7b VOB/A. In dieser konstruktiven Ausschreibung formuliert der Auftraggeber ein Leistungsverzeichnis, welches der Auftragnehmer erbringen soll. Das bedeutet, die Planung liegt in der Hand des Auftraggebers. In vielen Fällen kann es jedoch zweckmäßig sein, den Auftraggeber von der Planung zu befreien, weil ihm der dazu erforderliche Sachverstand fehlt. In diesen Fällen greift § 7c VOB/A. Dort ist die funktionale Ausschreibung geregelt, die dem Auftragnehmer die konkrete Planung überlässt. Der Auftraggeber gibt die Anforderungen an die Funktion der Leitung vor und überlässt dem Auftragnehmer die Gestaltung der Ausführung bis zur Materialwahl. Sollte die Zweckmäßigkeit gegeben sein, um die technisch, wirtschaftlich und gestalterisch beste sowie funktionsgerechteste Lösung der Bauaufgabe zu ermitteln, kann also auch eine funktionale Ausschreibung gewählt werden.

Der Vorteil der Funktionalausschreibung gegenüber der konstruktiven Ausschreibung besteht darin, dass aufgrund des unternehmerischen Wissens und der Erfahrung des Leistungsanbieters der Planungsprozess der baulichen Maßnahme erheblich verkürzt wird. Dadurch verkürzt sich das Projekt insgesamt mit der Folge geringerer Kosten sowie geringerer Beeinträchtigung für den Verkehr. Der Auftraggeber kann zwischen vielen Ideen und Lösungsvorschlägen das optimale Konzept wählen. Würde er selbst planen, ergäbe sich eine frühzeitige Festlegung auf eine bestimmte Lösung. Zusätzlich wird durch die konkrete Planung des Anbieters eine höhere Termin- und Qualitätssicherheit erreicht. Neben dem Wettbewerb um das wirtschaftlichste Konzept entsteht somit auch ein Wettbewerb um das beste Konzept. Das verschafft dem Auftraggeber eine vorteilhafte Ausgangslage für eine erfolgreiche Baumaßnahme.

Vorherrschend im Vergabeverfahren für den Straßenbau in Nordrhein-Westfalen ist trotz der Möglichkeit der Funktionalausschreibung das konstruktive Vergabeverfahren. Nach der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3809 des FDP-Abgeordneten Christof Rasche (Antwort, Drs. 18/9555) zum Thema „Wie sind die Vergabeverfahren im Straßenbau strukturiert“ hat es in den Jahren 2020 bis 2023 in Nordrhein-Westfalen insgesamt 3.804 Ausschreibungen für Aufträge hinsichtlich des Erhalts, Aus- und Neubaus der Landes- und Bundesstraßen gegeben. Davon erfolgten lediglich zwei Ausschreibungen planmäßig funktional. Es sei vorgesehen, dieses Instrument (Funktionalausschreibung) im Rahmen der Sanierungsoffensive insbesondere bei Ersatzbauwerken vermehrt zu nutzen, heißt es seitens der Landesregierung.

Auf die Frage, was die Landesregierung unternehme, um die Anzahl der funktionalen Ausschreibungen zu erhöhen und die Bauzeiten zu verkürzen, erwiderte die Landesregierung, die Straßenbauverwaltung Nordrhein-Westfalen setze zunehmend auf neue innovative Bauverfahren sowie auf Ausschreibungen mit funktionalen Leistungsinhalten. Außerdem verwies sie auf eine allgemeine Rundverfügung (ARV) zur Funktionalausschreibung gemäß

§ 7c bzw. § 7c EU VOB/A Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm von Ingenieurbauerwerken, die 2023 beim Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen erlassen wurde. Im Hinblick auf die zwei Funktionalausschreibungen in den letzten vier Jahren reicht offen- sichtlich der Erlass der ARV nicht aus. Die Ankündigung der Landesregierung, die funktionale Ausschreibung im Rahmen der Sanierungsoffensive vermehrt nutzen zu wollen, zeigt keine überzeugende Dynamik. Es müssen seitens der Landesregierung effektive Anstrengungen unternommen werden, um die Funktionalausschreibung neben der konstruktiven zu etablieren. Ansonsten wird der Straßenbau trotz dieser Möglichkeit der Beschleunigung das Missverhältnis zwischen maroder Infrastruktur bei gleichzeitigem Anstieg des Straßenverkehrs nicht beseitigen.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest,

  • dass die Funktionalausschreibung nach § 7c VOB/A im Vergleich zur konstruktiven Ausschreibung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Beschleunigung von Baumaßnahmen in der Straßeninfrastruktur führt.
  • dass die Funktionalausschreibung nach § 7c VOB/A im Vergleich zur konstruktiven Ausschreibung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Kostenersparnis bei Baumaßnahmen in der Straßeninfrastruktur führt.


Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • sich im Bundesrat und in der Verkehrsministerkonferenz (VMK) für klare vergaberechtliche Voraussetzungen einzusetzen, so dass der Entwurf und die Planung einer Bauleistung zusammen mit der vollständigen Bauausführung dem Wettbewerb unterstellt werden kann („funktionale Leistungsbeschreibung“), wenn dies bauzeitlich vorteilhaft ist.
  • sich dafür einzusetzen, dass die passenden Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass mehrere Teil- oder Fachlose auch dann zusammen vergeben werden können, wenn zeitliche Gründe dies erfordern. Die zusammengefasste Vergabe sollte für diejenigen Fälle gesetzlich abgesichert werden, in denen unter Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit und des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit der zeitliche Aufwand oder die Kosten der Vergabe mehrerer Teil- oder Fachlose den zeitlichen Aufwand oder die Kosten der zusammengefassten Vergabe übersteigen.
  • sich dafür einzusetzen, dass der Rechtsschutz durch die Vergabesenate im Hinblick auf die Dauer der Entscheidungszeiträume und der wirtschaftlichen Folgen von Bauzeitverzögerungen effektiver ausgestaltet wird.
  • sich dafür einzusetzen, dass funktionale Ausschreibungen systematisch zur Beschleunigung von Bauprojekten eingesetzt werden können.