Verwaltungsdigitalisierung aus der Perspektive der Bürger neu denken

I. Ausgangslage

Damit die Verwaltung bürgernah ist, müssen Bürgerinnen und Bürger sie einfach erreichen
und Leistungen schnell und unkompliziert erhalten können. Leider sieht die Realität in Nord-
rhein-Westfalen häufig anders aus. Bürgerinnen und Bürger müssen in sehr vielen Fällen persönlich zu vorgegebenen Öffnungszeiten im jeweiligen Bürgeramt vorsprechen, etwa um einen Personalausweis zu beantragen. Die Bearbeitung von Bauanträgen dauert nach Schätzungen leider noch zwischen zehn und achtzehn Monaten.

Die Digitalisierung kann einen Beitrag leisten, Verwaltungen bürgernäher und schneller zu machen. Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) wurde ein bundesweiter Prozess gestartet, um
diesem Ziel zumindest in einem ersten Schritt näherzukommen. Um den Zielerreichungsgrad
zu messen, haben sowohl der Bund als auch das Land Nordrhein-Westfalen jeweils ein sogenanntes Dashboard eingerichtet. Auf diesen Dashboards sollen alle Bürgerinnen und Bürger
verfolgen können, wie weit die einzelnen Bundesländer bei der Digitalisierung bestimmter Verwaltungsleistungen gekommen sind.

Das Dashboard „Digitale Verwaltung“ des Bundesministeriums des Inneren stellte ursprünglich den Fortschritt in einer Deutschlandkarten farblich dar. Je mehr Verwaltungsleistungen in
mindestens einer Kommune eines Bundeslandes digital beantragt werden konnten, desto besser wurde ein Bundesland bewertet. Vorreiter war hier Nordrhein-Westfalen, in dem im Mai
2022 für 338 OZG-Leistungen in mindestens einer Kommune digitale Antragsverfahren verfügbar waren.

Für die Anfangsphase des OZG-Prozesses war diese Darstellungsweise durchaus angemessen. Denn zu Beginn des OZG-Prozesses lag der Fokus richtigerweise darauf, möglichst viele
E-Government-Angebote zu entwickeln. Doch je weiter dieser Prozess fortgeschritten ist,
desto wichtiger wird es, dass ein in einer Kommune eingesetztes digitales Antragsverfahren
von anderen Kommunen desselben Bundeslandes nachgenutzt wird.

In einem Länderranking darf nicht der Eindruck entstehen, dass ein Bundesland den Antragsprozess einer Verwaltungsleistung erfolgreich digitalisiert hat, nur weil ein digitaler Antrag in einer Kommune verfügbar ist.

Nordrhein-Westfalen hat 427 Kommunen. Wenn in Nordrhein-Westfalen ein digitales Antrags-
verfahren für eine Verwaltungsleistung in einer Kommune verfügbar ist und in 426 Kommunen nicht, dann ist dies aber immer noch nicht zufriedenstellend. Ein auf dieser Basis dargestelltes
Länderranking gibt somit einen unvollständigen Eindruck vom tatsächlichen Digitalisierungstand eines Bundeslandes.

Ende Januar 2023 hat das Bundesministerium des Inneren die Darstellung des OZG-Dashboard verändert. Seitdem wird in einer Deutschlandkarte farblich dargestellt, wie viele Verwaltungsleistungen in einem Bundesland flächendeckend digital beantragt werden können. In
Nordrhein-Westfalen sind dies 144. Damit steht Nordrhein-Westfalen auf Platz 14 von 16 Bundesländern. Folgt man dieser Darstellung, ist Nordrhein-Westfalen bei der Digitalisierung im
Ländervergleich abstiegsgefährdet.

Die unterschiedliche Platzierung Nordrhein-Westfalens je nach Methodik des Länderrankings
macht unmittelbar deutlich, wo das Problem bei der Verwaltungsdigitalisierung in Nordrhein-
Westfalen liegt. Der ehemaligen schwarz-gelben Landesregierung und den Kommunen in
Nordrhein-Westfalen ist es deutlich besser als in anderen Bundesländern gelungen, digitale
Antragsverfahren für unterschiedliche Verwaltungsleistungen zu entwickeln. Allerdings ist es
der schwarz-gelben Landesregierung zwischen 2017 und Mai 2022, der schwarz-grünen Landesregierung seit Mai 2022 und den Kommunen schlechter als in anderen Bundesländern
gelungen, einmal entwickelte Angebote in die Fläche zu bringen.

Die schwarz-grüne Landesregierung hat die Zuständigkeit für die Verwaltungsdigitalisierung
vom damaligen Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (MWIDE) in
das heutige Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung verlagert. Im Hin-
blick auf das Ziel, mehr Kommunen von der Nachnutzung digitaler Antragsverfahren zu über-
zeugen und die Verwaltungsdigitalisierung in die Fläche zu bringen, hätte es durchaus eine
Chance darstellen können, die Zuständigkeit für Kommunales und Verwaltungsdigitalisierung
in einem Haus anzusiedeln. Bedauerlicherweise wurde diese Chance bisher nicht genutzt. Die
Kommunalen Spitzenverbände kommen in einer Stellungnahme für den zuständigen Ausschuss des Landestages zu folgender Bewertung der schwarz-grünen Koalition: „Die OZG-
Umsetzung in NRW wurde nach unserer Wahrnehmung weitgehend angehalten.“(Drucksache 18/388).

In Nordrhein-Westfalen gibt es zudem ein Problem mit der Informationsübermittelung an das
Dashboard. Dies hat sich etwa in der Diskussion um den Antrag der FDP-Fraktion „Die
schwarz-grüne Landesregierung muss digitale KfZ-Zulassungen endlich flächendeckend in
Nordrhein-Westfalen ermöglichen“(Drucksache 18/1663) gezeigt. Die Landesregierung hat
den Antrag mit der Begründung abgelehnt, die im Antrag zitierten Zahlen des OZG-Dashboards seien veraltet. Der Landesregierung lagen zwar neuere Zahlen vor, gleichzeitig hat diese es aber abgelehnt, diese Zahlen an das Dashboard zu melden bzw. gemeinsam mit den Kommunen für eine bessere Datenübermittlung an das Dashboard zu sorgen. Im Gegenteil hat die Landesregierung die finanziellen Mittel an den KDN –Dachverband der kommunalen
IT-Dienstleister erheblich gekürzt, welcher bisher im Auftrag der Kommunen die Informationsübermittlung an das Dashboard ausgeführt hat. Die schwarz-grüne Landesregierung ermöglicht es damit sowohl dem Parlament als auch der Öffentlichkeit nicht, den tatsächlichen Stand der Verwaltungsdigitalisierung zu verfolgen und Handlungsnotwendigkeiten zu identifizieren.

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument,
für Bürgerinnen und Bürger Veraltungsleistungen leichter und schneller zu erreichen und in
Anspruch zu nehmen. Deshalb sollte der Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung nicht an der
Anzahl der verfügbaren E-Government-Angebote, sondern an deren Akzeptanz bei den Nutzern gemessen werden. Sowohl das Dashboard des Bundes als auch das Dashboard des Landes Nordrhein-Westfalen messen bislang die Verfügbarkeit von E-Government-Angeboten. Diese Form der Darstellung ist nicht nutzerorientiert und vermittelt den Eindruck, das Thema E-Government sei für Politik und Verwaltung abgeschlossen, sobald ein E-Government-Angebot verfügbar ist.

Vielen Nutzern kommen E-Governmentlösungen im Vergleich zu Angeboten der Privatwirtschaft als wenig nutzerfreundlich vor. Startups neigen dazu Prozesse radikal aus Nutzersicht neu zu denken und dabei den Datenschutz zu vernachlässigen. Verwaltungen sind allerdings häufig zu stark auf maximale Rechtssicherheit und maximalen Datenschutz fokussiert und verlieren dabei die Nutzerperspektive aus dem Auge. Dies führt dazu, dass in einigen Kommunen bereits für das Herunterladen eines leeren PDF-Formular ohne persönliche Daten eine Identifikation mit Benutzername, Passwort und elektronischem Personalausweis verlangt werden. Nutzer brauchen bei der Inanspruchnahme von Verwaltungsleistungen allerdings ein verhältnismäßiges Vertrauensniveau und kein absolutes.

Um den Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung aus Bürgersicht zu messen, bedarf es daher
eines anderen Indikators. Sinnvoll erscheint es dabei auf den Anteil der digital gestellten An-
träge an den insgesamt gestellten Anträgen zu verweisen. Beispielsweise gab es in Nordrhein-
Westfalen im Jahr 2022 nach Angaben des Statistischen Bundesamts 139.317 Gewerbeanmeldungen. Gemäß der Statistik des Wirtschafts-Service-Portals.NRW (WSP.NRW) wurden im Jahr 2022 20.272 Gewerbeanmeldungen über das Landesportal digital beantragt. Dies ent- spricht einem Anteil von 14,55 Prozent. Ein E-Government-Angebot ist demnach dann erfolgreich, wenn dieses von den Nutzern auch tatsächlich häufig genutzt wird. Diese Form der
Darstellung untermauert, dass Verwaltungsdigitalisierung mit der erstmaligen Bereitstellung
eines Angebots nicht abgeschlossen ist, sondern dass es sich um einen fortlaufenden Prozess
handelt. Weisen E-Government-Angebote bei den Nutzern eine geringe Akzeptanz auf, dann
müssen die Ursachen identifiziert und die Angebote überarbeitet werden.

Bei dieser Form der Darstellung ist es keineswegs das Ziel, für jede Verwaltungsleistung einen
Anteil von 100 Prozent zu erreichen. Denn schließlich bevorzugen einige Bürger eine digitale
und andere Bürger die eine persönliche Beantragung. Bei dieser Form der Darstellung wird es
zudem auch anhaltende Unterschiede zwischen unterschiedlichen Verwaltungsleistungen ge-
ben, je nachdem an welche Gruppe sich eine Verwaltungsleistung richtet.

Wenn also der Anteil der digital gestellten BAföG-Anträge dauerhaft höher ist als der Anteil
der digital gestellten Rentenanträge, dann kann dies Ausdruck der Präferenzen der beantragenden Gruppen sein. Wenn allerdings etwa bei digitalen Bauanträgen trotz Verfügbarkeit eines digitalen Antragsverfahrens der Anteil der digital gestellten Anträge bei unter 1 Prozent liegt, dann spricht dies dafür, dass das verfügbare Angebot den Anspruch, den Bürgern das Leben durch Digitalisierung leichter zu machen, noch nicht erfüllt.

Unser Maßstab muss sein, den Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung zuvorderst aus der Bürgerperspektive und dann erst aus Verwaltungssicht darzustellen. Dies ist angemessen, denn
Verwaltungsdigitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern muss daran gemessen werden, ob
Bürgerinnen und Bürger leichter und schneller Leistungen des Staates in Anspruch nehmen
können.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

•Nordrhein-Westfalen ist im bundesweiten Vergleich in der Schlussgruppe bei der flächendeckenden Verfügbarkeit von E-Government-Angeboten.

•Verwaltungsdigitalisierung ist mit der erstmaligen Bereitstellung eines E-Government-
Angebots noch nicht abgeschlossen. Vielmehr handelt es sich um einen fortlaufenden
Prozess.

•Der Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung muss daran gemessen werden, inwiefern es
Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen gelingt, Leistungen des Staates leichter
und schneller zu erhalten.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

•im Dialog mit den Kommunen darauf hinzuwirken, dass Kommunen bestehende E-
Government-Angebote nachnutzen, damit diese Angebote so schnell wie möglich flächendeckend verfügbar sind.

•beim OZG-Dashboard des Landes Nordrhein-Westfalen den Anteil der digital gestellten
Anträge an den insgesamt gestellten Anträgen sowohl landesweit als auch pro Kommune kenntlich zu machen.

•zusammen mit den Kommunen dafür zu sorgen, dass diese den jeweiligen Stand bei der
Digitalisierung von Verwaltungsleistungen fortlaufend und zeitnah an das Dashboard
des Landes sowie des Bundes melden.

•sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, im Dashboard Digitale Verwaltung des Bundesministeriums des Innern den Anteil der digital gestellten Anträge an den insgesamt
gestellten Anträgen zu veröffentlichen.