Parlament und Öffentlichkeit transparenter über den vorgezogenen Kohleausstieg 2030 und seine Folgen aufklären!
I. Ausgangslage
In einer Pressekonferenz am 04.10.2022 wurden vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIKE NRW), dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und der RWE AG gemeinsam Eckpunkte für das Vorziehen des Kohleausstiegs in Nordrhein-Westfalen auf das Jahr 2030 vorgestellt. Die modernen BoA-Anlagen von RWE mit rund 3.000 MW (Neurath F und G, Niederaußem K) sollen statt spätestens Ende Dezember 2038 bereits am 31.03.2030 vom Netz gehen. Zusätzlich sieht die Eckpunktevereinbarung aus Gründen der Versorgungssicherheit vor, dass die im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) vorgesehene Außerbetriebnahme der RWE-Kraftwerksblöcke Neurath D und E für Ende des Jahres 2022 ausgesetzt wird und die Anlagen bei Bedarf auch bis zum 31.03.2025 im Strommarkt verbleiben können. Die Dörfer im dritten Umsiedlungsabschnitt des Tagebaus Garzweiler sollen laut Eckpunktepapier erhalten bleiben, die bergbauliche Inanspruchnahme der Ortschaft Lützerath wird als energiewirtschaftlich notwendig festgestellt und soll entsprechend dem aktuellen Genehmigungsstand zeitnah erfolgen. Mit der Umsetzung dieser Eckpunkte soll eine abschließende Regelung für die Beendigung der Kohleverstromung im Rheinischen Revier getroffen werden. Damit soll auch die durchgängige Genehmigungssicherheit gewährleistet werden, die auch den Tagebau Garzweiler und die Genehmigung des Hauptbetriebsplans für die Jahre 2023 bis 2025 beinhaltet.
Aus den im Zusammenhang mit dieser Ausstiegsvereinbarung erstellten Gutachten wird ersichtlich, dass diese am 07. bzw. 08. September 2022 durch das MWIKE NRW in Auftrag gegeben wurden, um die vorgelegten Daten und Annahmen von RWE zu prüfen. Die Gutachten mussten insofern in sehr kurzer Frist von knapp zwei Wochen erstellt und am 20. bzw. 21. September 2022 vorgelegt werden. Viele Sachverhalte, die erheblichen Einfluss auf die Versorgungssicherheit und den Strukturwandel im Rheinischen Revier in den Folgejahren haben, konnten in einer kurzen Bearbeitungszeit von knapp vierzehn Tagen nicht geklärt und vollständig bearbeitet werden. Das beauftragte Büro für Energiewirtschaft und technische Planung (BET) wollte untersuchen, wie viel rheinische Braunkohle in den kommenden Jahren für die Veredlung benötigt wird (Braunkohle, die nicht direkt verstromt, sondern für in Form von Briketts, Koks, Kohlestaub etc. Industrie, Umwelttechnik und privaten Verbrauchern angeboten wird). BET gibt aber in seinem Gutachten an, dass dies in so kurzer Zeit nicht so ermitteln und aufgrund des Zeitdrucks nur eine „grobe Abschätzung“ möglich war. Die beauftragte Fuminco GmbH wollte die Geometrien der beiden Tagebauteile, die nördlich und südlich der Ortschaft Lützerath entstanden wären, genauer berechnen. Das Unternehmen führt jedoch an, dass „aufgrund der kurzen Bearbeitungszeit“ die exakten Bilanzierungsgrenzen nur abgeschätzt und nicht mehr bei RWE angefragt werden konnten. Aufgrund der Kürze der Zeit sei die Qualität der Kohleflöze nicht genau zu ermitteln und alternative Abbaukonzepte nicht zu entwickeln gewesen. Die beauftragte ahu GmbH hätte ferner gerne die Frage untersucht, wie RWE den geplanten Restsee ausgestaltet hätte, wenn die Ortschaft Lützerath als Halbinsel stehenbleiben würde und wie sich Wasserstand und Qualität dann entwickeln würden. Die Beantwortung dieser Frage hätte nach Angaben der Gutachter jedoch „wahrscheinlich bis Ende 2023“ Zeit in Anspruch genommen.
Die Gutachten offenbaren, dass ein längerer Auftragszeitraum für die Gutachten und Klärung von noch offenen Fragen, eine politische Entscheidung auf stabilere Füße und Fakten gestellt hätte. Fraglich bleibt, warum in der Kürze der Zeit eine so weitreichende Entscheidung getroffen wurde, wenn bei so großen Einflussgrößen wie der kurz- und mittelfristigen Energieversorgungssituation beispielsweise bei der Gasversorgung und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung noch immense Unabwägbarkeiten und große Unsicherheiten bestehen. Das spiegelt sich ebenfalls in der Ankündigung der Landesregierung wieder, dass der vorgezogene Kohleausstieg 2030 einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leiste, indem mit früheren Ende der Kohleverstromung 280 Mio. Tonnen Braunkohle in der Erde bleibe und entsprechend etwa die gleiche Menge an Treibhausgasemissionen vermieden werden würde. Unter Umständen kann aus energiewirtschaftlicher Notwendigkeit die Situation gegeben sein, dass auch über das avisierte Ausstiegsjahr 2030 hinaus noch 3,6 GW Braunkohleverstromungskapazität im Rheinischen Revier am Netz sind. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gibt an, dass nach eigenen Berechnungen unter Annahme eines realistischen Szenarios gegenüber der bisherigen Ausstiegsplan für das Jahr 2038 wohlmöglich gar keine CO2-Einsparungen stattfinden. Warum sich die Landesregierung jetzt für die Verkündung einer Ausstiegsvereinbarung für das Jahr 2030 entschieden hat, bleibt aus sachlichen Gründen weiter fraglich.
Nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Energiekrise hat diese Grundsatzentscheidung eine enorme Tragweite für Bürgerinnen und Bürger und die Industrie in Nordrhein-Westfalen. Die durch den Kohleausstieg in der Energieversorgung entstehende Deckungslücke soll bislang durch den starken Zubau von Gaskraftwerken aufgefangen werden. Vor dem Hintergrund wohl längerfristig hoher Gaspreise und einer kurz- und mittelfristig noch kaum verfügbaren Infrastruktur für den alternativen Energieträger Wasserstoff droht dieser vorgezogene Kohleausstieg ein Treiber für überhöhte Strompreise im kommenden Jahrzehnt zu werden.
Bei einer derart weitreichenden Entscheidung scheint die frühzeitige Beteiligung des Parlaments geboten. Artikel 40 der Landesverfassung NRW bindet die Landesregierung, den Landtag „frühzeitig und umfassend über die Vorbereitung von Landesgesetzen, Staatsverträgen, Verwaltungsabkommen und Angelegenheiten der Landesplanung sowie über Angelegenheiten des Bundes und der Europäischen Union, soweit sie an ihnen mitwirkt“ zu unterrichten. Die Parlamentsvereinbarung vom 13. Dezember 2012 konkretisiert und erweitert den Artikel 40 dahingehend, dass „die Landesregierung bei der Auslegung der Vereinbarung das Interesse des Landtages berücksichtigt, auch dann politische Informationen zu erhalten, wenn Gegenstände von erheblicher landespolitischer Bedeutung über die vereinbarte Fallgruppe hinaus Belange des Landtags wesentlich berühren“. Darüber hinaus besagt auch der Grundsatz der Organtreue, dass die Verfassungsorgane untereinander zu rücksichtsvollem Umgang und einem Mindestmaß an Kooperation verpflichtet sind.
Im Kontrast dazu hat eine Einbeziehung und Unterrichtung des Landtages bei einer so weitreichenden Entscheidung der Landesregierung allerdings nicht stattgefunden. Stattdessen wurden dem Vernehmen nach vorab mutmaßlich ausschließlich die regierungstragenden Fraktionen kurz vor Verkündigung der Ausstiegsvereinbarung informiert. Dazu äußert sich in einem Interview mit der taz vom 07.10.2022 die Abgeordnete Antje Grothus zu den Abläufen am 04.10.2022: „[…] über das Ergebnis sind alle Abgeordneten auch erst per Videokonferenz am frühen Dienstagmorgen informiert worden. Gleich gebe es eine Pressekonferenz.“ Stimmt diese Aussage, hätte die Landesregierung mindestens eine Fraktion im Landtag privilegiert informiert. Die Fraktionen haben ein unmittelbar aus der Verfassung abgeleitetes Recht auf gleiche Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung, es gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen. Die Ausübung des freien Mandates und die Möglichkeit zur Kontrolle der Regierung setzen voraus, dass Informationen dem Parlament schnell, vollständig und unter gleichen Voraussetzungen zugänglich gemacht werden. Eine einseitige Information nur von regierungstragenden Fraktionen behindert die Opposition somit in ihren Arbeits- und Kontrollmöglichkeiten.
Der Pressekonferenz am 04.10.2022 ging eine Plenarwoche im nordrhein-westfälischen Landtag voraus. Vor dieser Plenarwoche haben die o.g. Gutachten allesamt spätestens am 21.09.2022 vorgelegen. Insofern wäre hier ausreichend Raum und Zeit gewesen, auch das Parlament entsprechend zu informieren. Hierzu bietet die langjährige Parlamentspraxis viele Möglichkeiten wie Unterrichtung, Ausschussbericht oder eine Information der Fraktionsvorsitzenden oder der fachlich zuständigen Obleute, um nur einige zu nennen.
Nach der öffentlichen Berichterstattung zu dem Vorgang und damit laut gewordener Kritik wurde die Vereinbarung zum vorgezogenen Kohleausstieg 2030 von Ministerin Mona Neubaur und Mitgliedern der regierungstragenden Fraktionen in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie am 19.10.2022 auffallend nur noch als „Absichtserklärung“ bezeichnet. Damit wachsen zusätzlich Zweifel an der Verbindlichkeit der Vereinbarung und der Art und Weise der öffentlichen Verkündung.
Die Landesregierung muss den Entscheidungsprozess für die Vereinbarung jetzt transparent machen und den Landtag umfassend über alle zugrundeliegenden Fakten und Folgen informieren.
II. Beschlussfassung
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- den Landtag und seine Gremien umfassend über alle Vorgänge im Zusammenhang mit dem Zustandekommen der Vereinbarung zum vorgezogenen NRW-Kohleausstieg im Jahr 20230 zu informieren und den vorgelagerten Entscheidungsprozess transparent zu machen.
- offenzulegen, inwiefern sich die bevorzugte Information der regierungstragenden Fraktionen mit Blick auf die parlamentarischen Informations- und Minderheitenrechte rechtfertigt.
- den Zeit- und Fahrplan für eine Befassung des Landtags mit den in der Vereinbarung vorgesehenen gesetzlichen und untergesetzlichen Änderungen für eine Umsetzung des vorgezogenen Kohleausstiegs so schnell wie möglich mitzuteilen und eine frühzeitige Beteiligung und Information des Landtages und seiner Gremien sicherzustellen.
- sicherzustellen, dass die Strukturfördermittel für das Rheinische Revier entsprechend dem vorgezogenen Kohleausstieg für das Jahr 2030 auch früher zur Verfügung stehen.
Henning Höne
Marcel Hafke
Dietmar Brockes
und Fraktion