Wärmeschutzüberbau/Wärmedämmung an Grenzwänden in NRW verfassungsmäßig?

Der Bundesgerichtshof hat zur materiellen Verfassungsmäßigkeit von § 16a NachbarG BIn (Grenzüberschreitende Wärmedämmung von Bestandsgebäuden) am 23.6.2022 ein Urteil gesprochen (V ZR 23/21).

Es ging dabei um die Verfassungsmäßigkeit der landesgesetzlichen Regelung in Berlin. Dieses lautet:

§ 16a NachbG Bln – Wärmeschutzüberbau der Grenzwand

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks hat die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung zu dulden, wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht.

(2) Im Falle des Wärmeschutzüberbaus ist der duldungsverpflichtete Nachbar berechtigt,-die Beseitigung des Überbaus zu verlangen, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen will.

(3) Der Begünstigte des Wärmeschutzüberbaus muss die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen und funktionsgerechten Zustand erhalten. Er ist zur baulichen Unterhaltung der wärmegedämmten Grenzwand verpflichtet.

(4) § 17 Absatz3 gilt entsprechend.

(5) § 912 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches gilt entsprechend.

In NRW gilt folgende gesetzliche Landesregelung:

§ 23a NachbG NRW – Wärmedämmung und Grenzständige Gebäude

(1) Der Eigentümer bzw. die Eigentümerin eines Grundstücks hat die Überbauung seines bzw. ihres Grundstücks aufgrund von Maßnahmen, die an bestehenden Gebäuden für Zwecke der Wärmedämmung vorgenommen werden, zu dulden, wenn diese über die Bauteileanforderungen in der Energieeinsparverordnung vom 24. Juli 2007 (BGBl. I S. 1519), geändert durch Verordnung vom 29. April 2009 (BGBl. I S. 954), in der jeweils geltenden Fassung nicht hinausgeht, eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann und die Überbauung die Benutzung des Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine wesentliche Beeinträchtigung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Überbauung die Grenze zum Nachbargrundstück in der Tiefe um mehr als 0,25 m überschreitet. Die Duldungspflicht nach Satz 1 erstreckt sich auch auf die mit der Wärmedämmung zusammenhängenden notwendigen Änderungen von Bauteilen.

(2) Im Falle der Wärmedämmung ist der bzw. die duldungsverpflichtete Nachbar/in berechtigt, die Beseitigung der Wärmedämmung zu verlangen, wenn und soweit er bzw. sie selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen will.

(3) Der bzw. die Begünstigte muss die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen und funktionsgerechten Zustand erhalten. Er bzw. sie ist zur baulichen Unterhaltung der wärmegedämmten Grenzwand verpflichtet.

(4) Die §§ 21 Abs. 2 und 3, 23 Nr. 2. bis 4. und § 24 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass die Anzeige Art und Umfang der Baumaßnahme umfassen muss.

(5) Dem bzw. der Eigentümer/in des betroffenen Grundstücks ist ein angemessener Ausgleich in Geld zu leisten. Die Ausgleichszahlung darf die Höhe des Bodenrichtwertes nicht übersteigen. Sofern nichts anderes vereinbart wird gelten die §§ 912 Abs. 2, 913, 914 und 915 BGB entsprechend.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die Nachbarwand gem. §§ 7, 8 entsprechend. In der Entscheidung des BGH vom 23. Juni 2022 - V ZR 23/21 heißt es am Ende:

„In der Gesamtschau erscheint es dem Senat durchaus möglich, dass § 16a NachbarG BIn noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelung aus Sicht des Gesetzgebers nicht allein das Verhältnis zweier Grundstückseigentümer untereinander betrifft, deren Individualinteressen zum Ausgleich zu bringen sind, sondern vor allem dem Klimaschutz und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang dient, dem über das aus Art. 20a GG abgeleitete Klimaschutzgebot Verfassungsrang zukommt (vgl. hierzu BVerfGE 157, 30). Das Wirtschaftliche Interesse des Grundstückseigentümers an der Einsparung von Energie durch eine grenzüberschreitende Dämmung seines Bestandsgebäudes wird nicht als solches, sondern deswegen höher gewichtet als das entgegenstehende Interesse des Nachbarn an der vollständigen Nutzung seines Grundstücks‚ weil es sich mit dem - Interesse der Allgemeinheit an der möglichst raschen Dämmung von Bestandsgebäuden deckt. Zwar erscheint dem Senat bedenklich, dass individuelle Interessen des Nachbarn selbst dann keine Berücksichtigung finden, wenn im Einzelfall die Annahme einer Unzumutbarkeit der Duldungsverpflichtung naheläge. Es ist aber nicht zu verkennen, dass der Streit zwischen den Nachbarn über die Frage, ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, bei jeder einzelnen Maßnahme zu einer unter Umständen Jahre währenden Verzögerung oder sogar dazu führen kann, dass der Grundstückseigentümer von der Dämmung seines Gebäudes ganz absieht. Der Senat hält es daher für nicht ausgeschlossen, dass der generalisierende Ansatz des Berliner Landesgesetzgebers, den Duldungsanspruch klar und einfach zu regeln, um auf das Ganze gesehen die Durchführung möglichst vieler und rascher Dämmmaßnahmen zu erreichen, noch zulässig ist, auch wenn damit für den jeweiligen Nachbarn im Einzelfall gewisse - unter Umständen auch erhebliche - Härten verbunden sein mögen.“

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Aussage des BGH zu der Berliner Regelung in § 16a, bezogen auf die Regelung in § 23a NachbG NRW: „Zwar erscheint dem Senat bedenklich, dass individuelle Interessen des Nachbarn selbst dann keine Berücksichtigung finden, wenn im Einzelfall die Annahme einer Unzumutbarkeit der Duldungsverpflichtung naheläge“?
  2. Wäre eine Härteregelung für „unzumutbare Duldungen“ im Sinne der BGH-Entscheidung (Urteil vom 23. Juni 2022 - V ZR 23/21) aus landesverfassungsrechtlichen und/oder grundgesetzlichen Gründen geboten und notwendigerweise in das NachbarG NRW einzuarbeiten?
  3. Wie beurteilt die Landesregierung die Frage 2, wenn eine Unzumutbarkeit der Duldungsverpflichtung nicht nur „naheliegt“ sondern „mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist“, in Bezug auf mögliche Rückbauverpflichtungen oder Schadensersatzverpflichtungen, da solche Regelungen bisher nicht in § 23 a NachbG NRW geregelt sind?
  4. Sieht die Landesregierung weitere bzw. andere landesverfassungsrechtliche bzw. grundgesetzliche Bedenken an der bisherigen Regelung in § 23a NachbG NRW?
  5. Wie könnte eine verfassungskonforme landesgesetzliche Regelung hergestellt werden?

Dr. Werner Pfeil