Wer nicht mitwirkt, bekommt keine Leistung mehr – verbindliche Arbeitsgelegenheiten für arbeitsfähige Leistungsempfänger als erster Baustein zu einer Reform des Bürgergeldes

I. Ausgangslage

Rund 5,5 Millionen Menschen leben in Deutschland von Bürgergeld. Davon sind knapp 4 Millionen Menschen grundsätzlich erwerbsfähig. Von diesen Leistungsberechtigten ist knapp die Hälfte arbeitslos und nicht in Erwerbstätigkeit („Aufstocker“), in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oder aufgrund von Kindererziehung oder Pflege verhindert. Für arbeitslose Leistungsempfänger droht das Bürgergeld zur dauerhaften Alternative zur Arbeit zu werden. Damit verbunden ist eine steigende Kostenbelastung der öffentlichen Haushalte. Im Bundeshaushalt für 2025 sind einschließlich Verwaltungskosten und Leistungen zur Eingliederung in Arbeit rund 45 Milliarden Euro für das Bürgergeld vorgesehen. Hinzu kommt der von den Kommunen getragene Anteil an den Kosten für Unterkunft und Heizung.

Deshalb bedarf es einer klaren Kurskorrektur weg von einer Auszahlung passiver Transferleistungen des Bürgergeldes hin zu einer verstärkten aktiven Integration in Arbeit. Die Jobcenter müssen den Fokus wieder verstärkt auf die Arbeitsvermittlung legen. Erwerbslose sollten in den ersten Monaten des Leistungsbezugs konkrete Arbeitsangebote erhalten, wenn sie keine Qualifizierung bzw. Weiterbildung absolvieren. Können keine Arbeitsangebote im regulären Arbeitsmarkt vermittelt werden, sollten Arbeitsgelegenheiten in Form gemeinwohlorientierter Tätigkeiten als Alternative angeboten werden, die eine Tagesstruktur sicherstellen und die aktive Teilhabe an der Gesellschaft fördern.

Nach dem Prinzip des Förderns und Forderns gilt: Wer von der Gesellschaft finanzielle Unterstützung erhält, hat auch klare Pflichten. Und wer seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, muss mit Leistungskürzungen rechnen. Deshalb muss die Ablehnung von Arbeitsangeboten konsequent sanktioniert werden. Der Sozialstaat kann nur bestehen, wenn er auf dem Prinzip der Eigenverantwortung basiert und die Rückkehr in den Arbeitsmarkt fördert.

Nachdem die Stadtvertretung von Schwerin im Dezember 2024 beschlossen hat, Empfänger von Bürgergeld und Asylbewerberleistungen zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, hat inzwischen auch die Stadt Essen ein entsprechendes Konzeptpapier erstellt. Wer eine Leistung erhält und drei Stunden am Tag arbeiten könne, soll dazu verpflichtet werden, eine vom Jobcenter zugewiesene, gemeinnützige Arbeitsgelegenheit anzunehmen. Dabei soll der Leistungsbezug von einer Beschäftigung abhängig gemacht werden. Die Stadt Essen erstellte das Papier eigenen Angaben zufolge, um die Expertise der Kommunen bei einer anstehenden Bürgergeldreform zu verdeutlichen.

Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II sind ein niedrigschwelliges Instrument zur Eingliederung in Arbeit. Demnach können erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden, wenn die darin verrichteten Arbeiten zusätzlich sind, im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind. Während einer Arbeitsgelegenheit ist zuzüglich zum Bürgergeld eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen. Dabei handelt es sich in der Regel um Beträge zwischen 80 Cent und 1,50 Euro je Arbeitsstunde („Ein-Euro-Job“).

Während einige kommunale Jobcenter wie in der Stadt Essen das Instrument der Arbeitsgelegenheiten relativ intensiv nutzen, scheuen allerdings viele Jobcenter und Kommunen den organisatorischen Aufwand, der mit der Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten verbunden ist. Um hier eine höhere Verbindlichkeit vorzugeben, könnte die bisherige Kann-Regelung in
§ 16d SGB II in eine Soll-Vorgabe für alle erwerbsfähigen Leistungsempfänger umgewandelt werden, wenn diese nicht erwerbstätig sind und auch keine anderen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erhalten.

Sanktionen bei fehlender Mitwirkung von Leistungsempfängern wurden während der Corona-Pandemie ausgesetzt und mit Einführung des Bürgergeldes eingeschränkt. Dies hat in der Praxis vieler Jobcenter dazu geführt, dass Leistungsminderungen nur in einem geringen Umfang ausgesprochen wurden. Im vergangenen Jahr wurden aber mit Gesetzesanpassungen die Anforderungen an Mitwirkungspflichten wieder erhöht. Pflichtverletzungen wie die Weigerung, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen oder an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit teilzunehmen, werden nach § 31 SGB II definiert. Deren Rechtsfolgen ergeben sich aus § 31a SGB II. Dabei sind Leistungsminderungen bei wiederholten Pflichtverletzungen grundsätzlich auf insgesamt 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt.

Für so genannte „Totalverweigerer“, die wiederholt konkrete und zumutbare Arbeitsangebote nicht annehmen, entfällt nach § 31a Absatz 7 SGB II der Leistungsanspruch in Höhe des Regelbedarfes abgesehen von den Kosten der Unterkunft vollständig. Mit dieser Neuregelung wurde im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits ein Signal für eine höhere Verbindlichkeit gegeben. Allerdings sollte neben der Verweigerung der Arbeitsaufnahme auch die wiederholte Verweigerung von Arbeitsgelegenheiten als Sachverhalt in diese Regelung zum vollständigen Leistungsentzug aufgenommen werden.

Eine höhere Verbindlichkeit von Arbeitsgelegenheiten für arbeitsfähige Leistungsempfänger wäre ein erster Baustein einer Reform des Bürgergeldes. Diesem müssten weitere Schritte folgen. Dazu zählen insbesondere eine Verbesserung der Hinzuverdienstregeln und eine bessere Abstimmung von Steuer- und Sozialsystem, damit nicht die Kombination aus Bürgergeld und Minijob besonders lohnend ist, sondern sich Stück für Stück aus einer Sozialleistung in eine auskömmliche Beschäftigung herauszuarbeiten. Die Landesregierung ist gefordert, sich aktiv in entsprechende Diskussionen über die Reform des Bürgergeldes einzubringen.

II. Beschlussfassung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • gegenüber den Jobcentern in kommunaler Trägerschaft darauf hinzuwirken, dass Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II verstärkt eingerichtet werden und dieses Instrument intensiver genutzt wird.
  • gegenüber den Jobcentern in kommunaler Trägerschaft darauf hinzuwirken, dass fehlende Mitwirkung und Pflichtverletzungen konsequent mit Leistungsminderungen sanktioniert werden.
  • sich auf Bundesebene für eine Umwandlung der Kann-Regelung in § 16d SGB II zu Arbeitsgelegenheiten in eine Soll-Vorgabe einzusetzen.
  • sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die wiederholte Verweigerung von Arbeitsgelegenheiten in die Regelung zum Wegfall des Leistungsanspruchs nach § 31a Absatz 7 SGB II aufgenommen wird.
  • sich aktiv in Diskussionen über die Reform des Bürgergeldes einzubringen.