Wettbewerbsfähigkeit steigern, Wirtschaftsstandort stärken, das Klima schonen – mit Lang-Lkw werden diese Ziele erreicht – Nordrhein-Westfalen muss sich bekennen
I. Ausgangslage
Die zulässige Gesamtlänge für einen Lkw mit Anhänger liegt in Deutschland bei 18,75 m (§ 32 StVZO). Bis zu dieser Länge können Lkw am Straßenverkehr teilnehmen. Aufgrund einer Ausnahmeverordnung ist es seit Januar 2017 in Deutschland sogenannten „Lang-Lkw“ erlaubt, ebenfalls am Straßenverkehr teilzunehmen, sofern sie sich ausschließlich im „Positivnetz“ bewegen. Rechtliche Grundlage für diese Ausnahme ist die Verordnung über Ausnahmen von straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften für Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit Überlänge (LKWÜberlStVAusnV).
Lang-Lkw sind Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen, die die zulässige Gesamtlänge überschreiten. Sie dürfen eine Gesamtlänge von bis zu 25,25 m haben. Die Ausnahmeverordnung kennt fünf Lang-Lkw-Typen. Die technischen Anforderungen an diese Fahrzeuge sind ebenso wie die persönlichen Anforderungen an die Fahrer sehr hoch. Da die Fahrzeuge über eine Reihe gesetzlich vorgeschriebener Fahrsicherheitstechniken einschließlich Abbiegeassistent verfügen, entsprechen sie höchsten Sicherheitsstandards.
Seit Beginn des Regelbetriebs im Jahr 2017 waren Lang-Lkw in keine schweren Unfälle verwickelt. Trotz Überlänge dürfen auch diese Lkw die gesetzlichen Gewichtsbeschränkungen auf 40 Tonnen bzw. 44 Tonnen im Kombinierten Verkehr nicht überschreiten. Dadurch werden Straßen und Brücken nicht durch ein erhöhtes Gewicht belastet. Im Gegenteil, durch zusätzliche Achsen und damit verbundene geringere Achsenlasten sind abnehmende Belastungen
der Infrastruktur zu erwarten.
Das Positivnetz ist eine Liste von Strecken, auf denen es den Lang-Lkw erlaubt ist, zu fahren. Sie ist als Anhang Bestandteil der LKWÜberlStVAusnV. Außerhalb dieser Positivliste ist Lang-Lkw das Fahren nicht gestattet. Eine Ausnahme gibt es für den verlängerten Sattelauflieger (Lang-Lkw Typ 1). Nach der Überlängeverordnung dürfen Fahrzeuge dieses Typs das gesamte Streckennetz in Deutschland befahren. Es handelt sich derzeit um einen Testbetrieb, der bis zum Ablauf des 31.12.2023 befristet ist. Eine Verlängerung wurde bis heute nicht beschlossen.
Bis jetzt ist der Betrieb von Lang-Lkw auf das deutsche Straßenverkehrsnetz begrenzt. Wünschenswert wäre ein internationaler Regelbetrieb der Lang-LKW. Dazu bedarf es völkerrechtlicher Vereinbarungen mit den Nachbarstaaten. Lediglich mit den Niederlanden existiert seit September 2021 ein solches bilaterales Abkommen. Damit hat Deutschland erstmals seine Grenzen für Lang-Lkw mit einem Nachbarstaat geöffnet. Mit dem Abkommen besteht nun eine Rechtsgrundlage für den Grenzübertritt durch Lang-Lkw zwischen Deutschland und den Niederlanden. Aus volkswirtschaftlicher und umweltschützender Sicht sollten weitere Abkommen
mit Nachbarstaaten folgen.
Die Vorteile der Lang-Lkw sind offensichtlich:
- Reduktion von Fahrten: Zwei Lang-Lkw-Fahrten ersetzen drei Fahrten mit herkömmlichen Lkw
- Effizienzgewinne: Bis zu 50 Prozent mehr Transportvolumen als bei herkömmlichen Lkw bei gleichbleibendem Gewicht
- CO2-Reduktion bis 25 Prozent
- Reduktion von Spritverbrauch: Kraftstoffersparnisse zwischen 15 Prozent und 25 Prozent
- kein erhöhter Erhaltungsaufwand für die Infrastruktur
- sehr geringe Verlagerungseffekte von der Schiene auf die Straße
- Abhilfe beim Fahrermangel (deutschlandweit fehlen ca. 70.000 Fahrer)
Folglich steht der Betrieb der Lang-Lkw auch nicht dem Vorsatz im Wege, die Gütermengen für Schiene und Binnenschifffahrt zu steigern. Insgesamt sind die Auswirkungen bezüglich einer Reduktion von tatsächlich gefahrenen Lkw-Kilometern und dementsprechend auch von Klimagasen und Luftschadstoffen positiv. Es ist dabei zu beachten, dass sich mögliche Rebound-Effekte in der Form, dass aufgrund der Effizienzvorteile des Lang-Lkw im Vergleich zum konventionellen Lkw die Transportkosten sinken und deshalb mehr Verkehr nachgefragt werden könnte, empirisch nicht ableiten lassen. Angesichts dringend zu senkender CO2-Emissionen, sich verknappender Energieressourcen und steigender Energiepreise sowie wachsender Personalengpässe bieten die Lang-LKW einen wertvollen Beitrag zur Sicherung des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen und Wahrung des Klimaschutzes.
Auf der Grundlage von Ersuchen von Unternehmen wird das Positivnetz nach einer Eignungsprüfung der gewünschten Strecken durch die Bundesländer regelmäßig aktualisiert. Dies geschieht durch eine Änderungsverordnung. Die letzte Aktualisierung und gleichzeitig Streckenerweiterung der Positivliste fand durch die 10. Änderungsverordnung zur LKWÜberlStVAusnV im November 2020 statt. Seitdem gibt es von zahlreichen Unternehmen und Verbänden Bestrebungen nach einer erneuten Ausweitung des Positivnetzes.
Die 11. Änderungsverordnung liegt seit Mitte 2021 entscheidungsreif vor. Sie enthält über 200 geprüfte, größtenteils kurze Anbindungen an das Fernstraßennetz zur Anbindung weiterer Logistikzentren. Seit zwei Jahren hat es keine Erweiterung des Streckennetzes mehr gegeben. Die Blockadehaltung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) verhindert die Fortschreibung des Positivnetzes. Sachliche Gründe für diese Verweigerung sind nicht bekannt. Ohne eine entsprechende Novellierung der Verordnung ist auch der Lang-Lkw Typ 1 ab 2024 auf die Nutzung des Positivnetzes beschränkt. Auch dafür gibt es keinen sachlichen Grund. Es wäre ein Rückschritt.
In einem gemeinsamen Positionspapier appellieren zahlreiche Verbände und Unternehmen an die Bundesregierung, die 11. Änderungsverordnung zu beschließen.
Dazu zählen folgende Verbände:
- Bundesverband Deutscher Postdienstleister e.V.(BvDP)
- BGA
- Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V.
- Bundesverband Paket und Expresslogistik e. V. (BIEK),
- Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik e.V.
- Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK)
- DSLV Bundesverband Spedition und Logistik e. V.
- Handelsverband Deutschland (HDE)
- Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA)
und folgende Unternehmen:
- Deutsche Post DHL Group
- DSV
- Emons
- Hellmann
- Intertrans
- Kögel
- Redemann
- ReinSpedition
- Mosolf
- Palletways
- Rüdinger
- Schwarzmüller
- UPS
- VT
Inzwischen könnten Industrie-, Handels-, Speditions- und Logistikunternehmen den Bundesländern bereits weitere Strecken zur Aufnahme in die Positivliste in einer
Änderungsverordnung melden. Sämtliche Wirtschaftsbereiche arbeiten derzeit unter erheblichen Unsicherheiten. Investitionsentscheidungen und die klimarelevante
Weiterentwicklung logistischer Prozesse erfordern einen angemessenen zeitlichen Vorlauf.
Dieser wird unnötig verkürzt, wenn Ressortabstimmungen verschleppt werden. Angesichts der sehr langen Lieferzeiten für Lkw-Zugmaschinen und Sattelauflieger ist Verlässlichkeit bei der Planung für teure Investitionsentscheidungen existenziell. Ohne eine regelmäßige Aktualisirung der Ausnahmeverordnung wird Nordrhein-Westfalen als Industriestandort zurückgeworfen. Die klimapolitischen Folgen wiegten schwer. Eine Erweiterung des Positivnetzes bedeutet Fortschritt, ein Verharren im Status quo bedeutet Stillstand und letztlich Rückschritt. Wieviel ist der Landesregierung der Industriestandort Nordrhein-Westfalen wert? Und wie ernst meint
es die Landesregierung mit dem Umweltschutz?
II. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- sich zum Lang-Lkw und damit zur Stärkung des NRW-Wirtschaftsstandorts, der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Klimaschutz zu bekennen.
- sich beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) für den Beschluss der 11. Änderungsverordnung zur LKWÜberlStVAusnVerordnung einzusetzen.
- sich beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) für die Verlängerung des Probebetriebs des Lang-Lkw Typ 1 (verlängerter Sattelauflieger) ab dem 1. Januar 2024 einzusetzen.