Wohlstand, Wachstum, Arbeit – 15 Punkte für eine Wirtschaftswende in Nordrhein- Westfalen
I. Ausgangslage
Die Sorgen um die aktuelle Entwicklung, aber auch um die Entwicklungsperspektiven der nordrhein-westfälischen Wirtschaft mehren sich. Seit dem Jahr 2020 stagniert die Wirtschaftsleistung. Nordrhein-Westfalen hängt beim Wirtschaftswachstum selbst dem schlechten Bundesdurchschnitt hinterher. Im Jahr 2023 war die Produktion der energieintensiven Industrie insgesamt um 8 Prozent niedriger als im Vorjahr. Die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen ist im Jahr 2023 erstmals seit 2010 angestiegen. Im ersten Quartal 2024 war die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen 27 Prozent höher als im Vorjahr.
Große Konzerne tätigen seit Jahren an ihren nordrhein-westfälischen Standorten nur noch Erhaltungsinvestitionen. Im ersten Halbjahr 2023 waren die Investitionen heimischer Unternehmen in inländische Produktionsstätten noch niedriger als im Vorkrisenjahr 2019.Die Schwäche privater Investitionen hat zur Folge, dass die prognostizierte Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials, das wegen des absehbaren Rückgangs der Erwerbstätigenzahl ohnehin niedrig ist, immer mehr nach unten revidiert werden muss. Die Konzerne in Nordrhein-Westfalen bauen kontinuierlich Stellen ab. Ford hat unlängst angekündigt, in Köln und Aachen 2.300 Stellen bis zum Jahr 2025 zu streichen. Bei Miele in Gütersloh fallen 2.000 Arbeitsplätze weg. Vodafone in Düsseldorf plant 2.000 Stellen zu streichen. Von Lanxess werden in Köln 900 Stellen gestrichen. RWE wird im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 mehr als 6.000 Stellen abbauen. Bei Evonik in Essen ist geplant, 1.500 Stellen im Heimatland zu streichen.
Der Investitionsstandort Nordrhein-Westfalen verliert im internationalen Wettbewerb zunehmend an Attraktivität. Seit dem Jahr 2022 hat sich die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort halbiert: Gleichzeitig leidet Nordrhein-Westfalen seit Jahren an einer Investitionslücke. Die Investitionsquote als Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt seit Jahren in Nordrhein-Westfalen unter dem Bundesdurchschnitt. Die Bruttoanlageinvestitionen in Nordrhein-Westfalen lagen im Jahr 2020 bei 121,4 Milliarden Euro, das ist ein Anteil von 17,2 Prozent des BIP. In den übrigen westdeutschen Bundesländern lag die Investitionsquote mit 24,2 Prozent deutlich darüber.
Als industrielles Kernland der Bundesrepublik ist Nordrhein-Westfalen aufgrund des großen Anteils energieintensiver Industrien besonders von den gestiegenen Energiekosten betroffen. Zusätzlich verschlechtern eine überbordende Bürokratie, eine hohe Steuerbelastung, ein behäbiges Innovationsgeschehen, der Arbeitskräftemangel und eine sanierungsbedürftige Infrastruktur die Standortqualität.
Nordrhein-Westfalen fehlt eine klare wirtschaftspolitische Agenda. Als wirtschaftliches Schwergewicht ist unser Industrieland weder auf Bundes- noch auf europäischer Ebene sichtbar und fällt eher als Bittsteller statt als Gestalter auf. Die Landesregierung hat auch nach zweijähriger Regierungszeit keine einzige Maßnahme für den Abbau von Bürokratie und die Stärkung des Wirtschaftsstandorts umgesetzt. Die Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung läuft schleppend, Planungs- und Genehmigungsverfahren haben bisher keine Beschleunigung erfahren. Die Landesregierung verwaltet die wirtschaftliche Stagnation und setzt keine neuen Wachstumsimpulse. Die Wirtschaftspolitik des Landes unter der Verantwortung von Ministerin Mona Neubaur behandelt die NRW- Wirtschaft als grünes Transformations- und Dekarbonisierungsobjekt, nicht als Wachstums- Wohlstandsmotor des Landes.
Nordrhein-Westfalen braucht eine wachstums- und angebotsorientierte Politik, die Investitionen in Innovationen und damit Rahmenbedingungen für die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze fördert. Nordrhein-Westfalen braucht eine echte Wirtschaftswende! Die Schaffung neuer wirtschaftlicher Chancen für Menschen und Unternehmen und die bestmögliche und gezielte Mobilisierung privater Investitionen muss jetzt höchste Priorität haben. Wir brauchen ein maßgeschneidertes Wirtschaftswende-Programm für Nordrhein- Westfalen, das nachhaltige Entlastungen für Bürger und Wirtschaft mit neuen Impulsen für Investitionen und Innovationen kombiniert.
Mit einer erfahrenen Industrie und einem starken Mittelstand und Handwerk, einer dichten, differenzierten Wissenschafts- und Forschungslandschaft, einer dichten Infrastruktur und lebenswerten Städten und Gemeinden hat Nordrhein-Westfalen alle Voraussetzungen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können und wieder zu einem Kristallisationspunkt für Innovationen, Wohlstand und Wachstum werden. Nordrhein-Westfalen kann sich wieder zu einem der attraktivsten Wirtschaftsstandorte Europas entwickeln. Dafür muss unser Bundesland muss Vorreiter für Genehmigungsbeschleunigung und Verwaltungsdigitalisierung werden – und ein zentraler Standort für Talente, Ideen, Forschung und Innovationen sein, der aus Dekarbonisierungs- und Nachhaltigkeitserfordernissen ein Wohlstandsversprechen macht.
II. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
1. ein Belastungsmoratorium für die gesamte Legislaturperiode für die nordrhein-westfälische Wirtschaft zu erlassen.
2. mit den Wirtschafts- und Kommunalverbänden des Landes eine „Entlastungsallianz“ ins Leben zu rufen, in deren Rahmen jährlich mindestens ein gemeinsames Entlastungspaket für den Abbau von Bürokratie erarbeitet und umgesetzt wird.
3. unnötige Umweltbürokratie abzubauen. Dazu gehört die Abschaffung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes NRW und Befreiung des Landesnaturschutzgesetzes von sämtlichen Vorgaben und Regeln, die über Bundes- und EU-Vorgaben hinausgehen.
4. schrittweise die Grunderwerbsteuer auf 3,5 Prozent zu senken und ein unbürokratisches Flächenmodell bei der Grundsteuer einzuführen.
5. sicherzustellen, dass Industrie- und Gewerbeflächen in ausreichender und wachstumsförderlicher Zahl und Qualität an geeigneten Standorten langfristig und planungssicher zur Verfügung stehen.
• Auf Ebene der Landesplanung ist eine Planungskategorie für Industrie-Reservegebiete einzuführen, die langfristig für die gewerbliche Nutzung geeignete Flächen vor anderweitiger Verplanung sichert, um dort langfristige Industrieentwicklung zu ermöglichen.
• Auf starre Flächenverbrauchsziele wie den 5H-Grundsatz ist zu verzichten. Stattdessen sind die landesweiten Flächenpotentiale für einen qualitativen Ausgleich zu nutzen.
• Die bedarfsgerechte Versorgung mit heimischen Rohstoffen ist planerisch langfristig zu sichern. Auf die Festlegung eines Degressionspfads für die Nutzung von heimischen Rohstoffen, wie Kies und Sand, ist zu verzichten.
6. einen ganzheitlichen Aktionsplan vorzulegen, mit dem Planungs- und Genehmigungsverfahren in allen Bereichen beschleunigt werden. Hierbei sind die Potentiale einer medienbruchfreien digitalen Bearbeitung von der Antragsstellung bis zur Bescheidung zu nutzen. Für eilbedürftige und landesbedeutsame Infrastruktur- und Bauvorhaben sollen in jedem Regierungsbezirk Beschleunigungshubs eingerichtet werden.
7. mit einen Digitalgesetz für Nordrhein-Westfalen die vollständige Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung umzusetzen, dass unter anderem folgende zentrale Maßnahmen im Einklang mit dem OZG 2.0 vorsieht: Einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen und das Once-only-Prinzip sowie Vorgaben für einheitliche Schnittstellen und Standards für alle digitalen Verwaltungsleistungen.
8. Hochschulausgründungen und den Wissenstransfer aus den Hochschulen in die Wirtschaft wieder zu stärken und zu fördern, indem
• die Finanzierung der Exzellenz-Start-up-Center ausgebaut und für die DWNRW-Hubs zeitnah eine stabile Folgefinanzierung aufgelegt wird.
• die Rahmenbedingungen dafür weiter zu verbessern, dass Daten unter Berücksichtigung der DSGVO einfacher, digitalisiert, standardisiert und zentral in anonymisierter und pseudonymisierter Form sowohl für gemeinnützige als auch für kommerzielle Forschung verfügbar gemacht werden und dass der Wissenstransfer in die Praxis im Bereich von Patenten, Urheber- und Nutzungsrechten erleichtert wird.
9. aus vorhandenen Mitteln eine Beteiligungsgesellschaft für einen landeseigenen Innovations- und Risikokapitalfonds bestehend auf zwei Säulen zu errichten:
• Einer landeseigenen Agentur für Sprunginnovationen zur Förderung radikaler und inkrementeller Innovationen,
• Einem Wagniskapitalfonds für die Wachstumsphase von jungen Unternehmen. Die Fonds werden privatwirtschaftlich von erfahrenen Wagniskapitalgebern verwaltet.
10. im Landeshaushalt Ausgaben strikt für zielgerichtete Investitionsanreize in Bildung, Forschung und Infrastruktur zu priorisieren, um die Attraktivität Nordrhein-Westfalens als Wirtschaftsstandort zu erhöhen und neue Wachstumsimpulse zu setzen.
11. eine auskömmliche Kita-Finanzierung und die Sicherung des OGS-Ausbaus zu gewährleisten. Der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung muss gesetzlich und finanziell abgesichert werden. Eine auskömmliche Finanzierung von Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege und Offenem Ganztag ist in Nordrhein-Westfalen für eine Wirtschaftswende essenziell. Für die erfolgreiche Berufstätigkeit von Eltern sind verlässliche Betreuungszeiten der zentrale Grundstein. Für Kinder und Jugendliche sind garantierte Erziehung und Betreuung der Grundstein für Aufstieg durch Bildung.
12. den Weg zur Erreichung des Klimaneutralitätsziels im Jahr 2045 technologieoffen, marktwirtschaftlich, kosten- und emissionseffizient auszugestalten und Maßnahmen und Technologien für zirkuläres Wirtschaften sowie Speicherung von CO2 in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen und zu fördern.
13. zeitnah die angekündigte Wasserstoff-Import-Strategie vorzulegen und ein landesweites überregionales Wasserstoff-Cluster zu schaffen, das auf den verschiedenen Ebenen vorhandenen Ansätze, Projekte und Wasserstoff-Initiativen sowohl strategisch als auch organisatorisch zusammenzuführt. Ziel ist, innovative und kohärent aufeinander abgestimmte Wasserstoffökosysteme als Grundlage für neue Geschäftsmodelle zu schaffen, durch Synergien die Produktivität zu steigern und zeitnah Skaleneffekte realisieren zu können. Die Landesgesellschaft Energy4Climate soll hierbei die Koordination übernehmen.
14. sich dafür einzusetzen, den endgültigen Kohleausstieg im Rheinischen Revier zu verschieben, bis der Zubau ausreichender Ersatzkapazitäten gewährleistet ist und für eine zügige Ausweitung eines günstigen und klimafreundlichen Energieangebots neben Wind- und Solarenergie die ganze Bandbreite Erneuerbarer Energien von Wasserkraft, Biomasse, Geothermie, Wärme aus Ab- und Grubenwässern gleichermaßen nutzbar zu machen.
15. sich auf Bundesebene für die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und des Renteneintrittsalters einzusetzen sowie im Rahmen einer Bundesratsinitiative ein Maßnahmenpaket zur Schaffung von zusätzlichen Arbeitsanreizen im Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht vorzulegen.